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Mittwoch, 23. Juni 2021

Knochenarbeit oder das Unbewußte in der Museumsarbeit

 


Schaurestaurierung der Reliquie des heiligen Eusebius im Museum am Dom St. Pölten!
An ausgewählten Tagen wird Textilrestauratorin Elisabeth Macho-Biegler eine barocke Ganzkörperreliquie live im Museum restaurieren. Machen Sie sich selbst ein Bild von der kleinteiligen und zeitintensiven Arbeit, die im wahrsten Sinne des Wortes mitunter auch „Knochenarbeit“ ist.
Zutritt mit gültigem Museumticket zu den regulären Öffnungszeiten.
Schaurestaurierung an folgenden Terminen:
26. Juni 2021
10. Juli 2021 (12.00-16.00 Uhr)
15. Juli 2021 (10.00-18.00 Uhr)
24. Juli 2021
8. Juli 2021
13. August 2021
Weitere Termine für den Herbst werden noch bekannt gegeben!
 

Kommentar:

„Die Reliquie ist das, was von dem Toten aufbewahrt wird, damit es im Namen der Realität dafür garantiere, daß er nicht wiederkehrt. Das heißt schon, daß dem mit dem Reliquienkult verknüpften Ritual – im individuellen Mythos wie im kollektiven Glauben – die Allmacht der Verschwundenen durchaus gegenwärtig ist. ‚Wir wissen’, sagt Freud, ‚daß die Toten mächtige Herrscher sind...’ (...) Die Reliquie verwirklicht den illusorischen Kompromiß, dessen der Mensch sich bedient, um der Todesangst widerstehen zu können, so daß es ihm niemals gelingt, die Vorstellung vom Tod mit der – Schicksal gewordenen – Notwendigkeit eines Nichtmehr in Einklang zu bringen. 

 

Pierre Fédida

Dienstag, 3. März 2020

Der junge Hitler und wie Stefan Weiss ihn sieht

In der Tageszeitung „Der Standard“ vom 3.3.2020 schreibt der Mitarbeiter der Kulturredaktion Stefan Weiss über die Ausstellung im Haus der Geschichte in St. Pölten „Der junge Hitler“. 
Die Überschrift gibt der neutralen Bezeichnung der Ausstellung eine überdeterminierte Bedeutung: „Hitlers Jugendjahre: Der Wagnerianer mit dem ‚Nicht genügend.‘“
Da werden zwei Dinge zusammengezogen, die weder sachlich noch chronologisch etwas miteinander zu tun haben - eine schlechte Schulnote im Fach Deutsch und ein späterer Opern-Besuch - und deren Beziehung ohne jede Bedeutung ist.
Der Untertitel des Ausstellungsberichtes attestiert der Ausstellung ein Aufklärungspotential, als ob dieses noch nie genutzt worden wäre und zum ersten Mal gelungen sei, es auszuschöpfen: „Die Ausstellung ‚Der junge Hitler. Prägende Jahre eines Diktators’ im Haus der Geschichte Niederösterreich legt die Wurzeln des NS-Gedankenguts offen.“ 
Dieser Titel legt ja nahe, daß einerseits die Darstellung und Analyse der Jugend Hitlers geeignet sei, das NS-Gedankengut als Ganzes zu erläutern aber zweitens, daß die Person Hitler und der Nationalsozialismus so etwas wie eine Gleichung ohne Rest gewesen seien. Etwa so: Wenn man Hitler erklärt, erklärt man den Nationalsozialismus. 
Das hat schon oft in eine triviale Personalisierung und zu einer sehr schlichten Psychologie geführt, die so gut wie nichts erhellt oder schlimmer noch, mit der Konzentration auf die Person, viele wesentlichen Fragen zum Nationalsozialismus verschleiert. 

Der Autor der Ausstellungsbesprechung stolpert denn auch gleich zu Beginn seines Textes in die Falle der trivialisierenden Personalisierung und scheitert fürchterlich an seiner Exegese einer Fotografie. Dem Text vorgeschaltet ist nämlich ein Foto einer Schulklasse, das sofort ein „gespenstisches Dokument“ sein muss. Denn es zeigt Hitler in seiner Volksschulklasse, in der letzten Reihe, und das „mit verschränkten Armen, starrem Blick und hochgerecktem Kinn in der Mitte der obersten Reihe – Zufall oder nicht: Genau so wird sich Hitler als späterer Diktator häufig inszenieren.“
Es fällt sofort auf und es ist auch vielen Postern aufgefallen, daß viele andere Schüler genau so wie der "zukünftige Diktator" posieren - was möglicherweise einer disziplinierenden Order beim Fotografieren geschuldet ist - und daß der stechende Blick und das hochgereckte Kinn eher Projektionen als objektivierbare Tatsachen sind.
Gespenstisch ist weniger das Klassenfoto als die dieser "Bildanalyse" zugrundeliegende Psychologie, derzufolge der „Diktator“ schon im Kind angelegt und sichtbar gewesen sei.

Einer der Kuratoren der Ausstellung weiß dazu, als ob er persönlich dabeigewesen wäre: "Er hat die Menschen nie auf Augenhöhe angesprochen. Er sah sich immer entweder neben oder über der Gesellschaft.“ 
Das Gegenteil war der Fall. Hitler hat seinen Blick bewusst genutzt und zu Requisiten ausgefeilter Selbstinszenierung gemacht. Albert Speer berichtet z.B.: „Seine Augen waren starr auf die Angetretenen gerichtet, er schien jeden durch seinen Blick verpflichten zu wollen. Als er zu mir kam, hatte ich den Eindruck, daß mich ein Paar weit geöffnete Augen für unermeßbare Zeit in Besitz nahmen." 

Muß ein Ausstellungsrezensent so etwas bemerken? Einen derartigen Widerspruch von historischen Fakten und kuratorialer Interpretation? Muß ein Kulturredakteur nicht vorsichtig werden, wenn - zum wievielten Mal eigentlich - Hitlers „künstlerische Ambitionen“ aufgetischt werden? Sollte man nicht grundsätzlich skeptisch sein, gegenüber einem Ausstellungskonzept, das den Nationalsozialismus aus der Biografie einer einzigen Person heraus zu deuten versucht und noch dazu aus deren Jugendjahren? 

Als „optisch gepolter Mensch“, berichtet Stefan Weiß von der Ausstellung, hätte Hitler früh ein Sensorium für die Ästhetisierung der Politik gehabt und sich (auch das ist schon lange bekannt), von sozialistischen Ritualen inspirieren lassen. Aber was bitte ist ein „optisch gepolter“ Mensch?

Die altbekannte, durch Wiederholung in ihrer Schlichtheit nur noch aufdringlichere entwicklungspsychologische These vom verhinderten oder gescheiterten Künstler, der in die Politik geht, ist sogar eine fettgedruckte Zwischenüberschrift wert: „Vom Maler zum Politiker“. Ja, ja, wie wir wissen hätte uns die Wiener Akademie der Bildenden Künste den Nationalsozialismus erspart, hätte sie Adolf Hitler die Aufnahmeprüfung bestehen lassen...

Das eigentliche Erweckungserlebnis war der Ausstellung zufolge aber nicht die Bildende Kunst, sondern die Oper, genauer gesagt Wagners Opern. Leider läßt uns der Autor der Ausstellungsbesprechung, wie meist bei Rezensionen üblich, über das Spezifische der medialen Vermittlung im Ungewissen. Und das gerade dort, wo es doch ganz interessant hätte sein können zu erfahren, nicht was, sondern w i e es mitgeteilt wird. 
„Mittels Tonaufnahmen und Originalmodellen der damaligen Bühnenbilder lässt die Ausstellung erahnen, welche Wirkung die oft völkisch motivierten Inszenierungen auf Hitler gemacht haben müssen.“
Das hätte mich doch interessiert, wie eine Ausstellung die historische affektive und ideologische Wirkung auf eine bestimmte Person uns heutigen Zusehern vermittelt haben will?
Aber die Ausstellung kann noch mehr. Sie läßt uns an „den künstlerischen Ambitionen“ Hitlers „Größenwahn bei gleichzeitiger Selbstüberschätzung“ erkennen, was, hier wird Mussolini zitiert, nur in eine Auffassung von Politik als „größte Kunst“ münden konnte weil sie mit "lebendigem Material" arbeite: „dem Menschen.“

Diese Ausstellung muß großartig sein, ich muß sie mir ansehen

Samstag, 13. Oktober 2018

Seitensprünge (8: Eine Nacht der keltischen Feuer oder boys toys)

🔥 Entdeckt kommenden Samstag die mystische Welt der Kelten! Probiert ihr Handwerk aus, lauscht den packenden Dudelsackrhythmen oder kostet den schmackhaften Eintopf Ritschert - die Nacht der keltischen Feuer verspricht außergewöhnliche Erlebnisse 🔥 

Typischer Kelte in typisch mystischer Stimmung

Dienstag, 26. Juni 2018

Unser Doktor Dollfuß oder: Wie in der Republik mit deren Bedrohung und Beseitigung umgegangen wird


Kassette mit Erde aus dem Grab von Engelbert Dollfuß
Holz, Erde, Produzent unbekannt
Österreich, 1935 Dr. Engelbert Dollfuß-Museum, Texing / Foto: ÖMV

Die Gemeinde Texingtal (Niederösterreich) will sich 2018 kritisch mit dem Erbe von Engelbert Dollfuß auseinandersetzen. Dollfuß ist in dieser Gemeinde geboren. In seinem Geburtshaus wurde 1998 ein Dollfuß-Museum eingerichtet.
„Wir müssen diese Jubiläumsjahre nutzen," sagt der Bürgermeister, "um uns mit unserer eigenen Geschichte zu beschäftigen“. Dazu ist das Museum da: „Dort wird das Historische gut erarbeitet und kritisch behandelt. Wir müssen die Thematik immer wieder diskutieren und aus den Fehlern der damaligen Zeit lernen.“
Der Manker SP-Stadtrat Anton Hikade, über dessen Zuständigkeit in dieser Angelegenheit man via Niederösterreichische Nachrichten nichts erfährt, meint hingegen: "Die Präsentation ist (...) ein Totenkult des Diktators.“
Allerdings hat Stadtrat Hidake das Museum nie gesehen. „Ich war einmal dort, da war aber geschlossen. (...) Es ist ja kein Museum zur geschichtlichen Weiterbildung. Und wozu sollte ich als Sozialdemokrat eine Kultstätte der ÖVP besuchen?“
Mank, die Heimat des Museumskritikers Zikade, hat kein Dollfuß-Museum dafür einen Dollfuß-Platz. Über eine Umbenennung wird im Gemeinderat diskutiert. Hikade ist für die Umbenennung und für eine Überarbeitung des Museums in der Nachbargemeinde: „In Zeiten, in denen es in Österreich einen gestiegenen Wunsch nach einem starken Mann gibt, wäre es höchst an der Zeit, der Öffentlichkeit auch den Führerstaat unter Dollfuß zu erklären.“
Der Texinger Bürgermeister kontert: "Ich lade alle ein, sich ohne Schaum vor dem Mund ein Bild zu machen. Die Zeit ist darin entsprechend dokumentiert.“ Die Frau Landeshauptmann wurde auch schon eingeschaltet. Was mit dem Museum wird, ist derzeit offen.
"Auf nön.at stimmten (laut NÖN.at, 3.5.2017) 65.7 Prozent gegen die Umbenennung des Dollfuß-Platzes in Mank."
Laut Google-Maps existiert der Platz noch. Als - Achtung! - Doktor-Dollfuß-Platz. Ehre wem Ehre gebührt.

"Chrtliches Gedenken"an den "Heldenkanzler". Dollfuß-Museum Texing

 P.S.: Eine ausführliche Kritik des Museums aus dem Jahr 2016 erschien in der Zeitschrift der Österreichischen Hochschülerschaft "progress" (hier). Zitat: "Für eine geschichtsinteressierte Person gibt es so gut wie nichts her: keine Hintergründe, keine differenzierte Auseinandersetzung. Es herrscht ein Mangel an Informationen sowie kritischer Distanz, der fast schon unterhaltsam ist: Dollfuß kam aus bescheidenen Verhältnissen, sammelte ein wenig Tand an, arbeitete hart und fleißig als Landwirtschaftsminister, wurde IRGENDWIE Kanzler, um dann von Nazis erschossen zu werden. Wer eine Ahnung von österreichischer Zeitgeschichte hat, muss schon eine Vorliebe für plumpe Aussparungen und Euphemismen haben, um dem Museumsbesuch etwas abgewinnen zu können. Wer keine hat, lernt auf Wikipedia wesentlich mehr."
Die Autoren der Museumskritik, Georg List und Michael Gruber weisen auf die finanzielle Förderung des Museums durch das Land Niederösterreich und das Unterrichtsministerium hin und zitieren aus dem Gästebuch: „In Zeiten von Freihandelsabkommen und Massenmigration braucht es wieder einen starken Führer.“

Eine massive Kritik am Museum und am "Dollfuß-Mythos" findet sich im gleichnamigen Buch von Lucile Dreidemy. Dazu (hier) die Renzension von Peter Huemer im "Falter" aus dem Jahr 2015.

Mittwoch, 24. Januar 2018

Geschichtsschreibung auf Niederösterreichisch. Das "Haus der Geschichte" in St. Pölten

Vor einer Woche erschien im FALTER  (Nr.3/18 vom 17.3.2018)mein Text zum "Haus der Geschichte" in St. Pölten, unter dem Titel "Gulasch ohne Saft" - ein Zitat eines niederösterreichischen Landeshauptmannes aus der Ausstellung. Ich stelle den Text nun hier, ergänzt um einige Bilder, online.


Als kürzlich Franz Fischler in einem Zeitungsartikel für ein Ernstnehmen des Wiener Hauses der Geschichte Österreich argumentierte und dessen Emanzipation aus einem fragilen Provisorium forderte, erwähnte er mit keinem Wort das bereits existierende Museum in St. Pölten.
Dabei beansprucht dieses, die Geschichte Niederösterreichs eingebettet in die Österreichs und Zentraleuropas darzustellen, während man sich Wien erst einmal mit einer Ausstellung von der Republikgründung 1918 bis zur Gegenwart begnügen muss. In St.Pölten kokettiert man mit dem Adjektiv „erstes Geschichtsmuseum Österreichs“.
Ein erster, sehr ausführlicher Besuch zeigt, dass der Anspruch auf Repräsentation der Geschichte des ganzen Landes schon auf Grund der auf Niederösterreich zugeschnittenen Sammlung nicht eingelöst wird. Die Ausstellung bleibt am Anfang sehr kursorisch und wird in viele Themen aufgesplittert, die als einzelne durchaus interessant gewählt sein können, aber es dem Besucher erschweren, Strukturen herauszulesen. Erst mit der Aufklärung setzt eine Verdichtung ein, die im Abschnitt zum eher knapp abgehandelten Ersten und breit dargestellten Zweiten Weltkrieg zu einer überproportional breiten Darstellung wird.


Überaus befremdlich ist dort das Motto „Gleichschritt“, das nicht als Kennzeichnung einer militärischen Marschordnung dient, sondern als Gleichsetzung des NS-Terrorsystems mit dem der stalinistischen Sowjetunion benutzt wird. Mehrere Texte behaupten diese Identität und eine riesige Grafik an der Wand versammelt in ein- und demselben Rot markiert alle nur erdenklichen Lager. Die Botschaft ist klar: es gab nur einen Terror.
Was in den Wissenschaften verantwortungsbewusst und differenziert diskutiert wird, tritt hier als Tatsache auf. Es bleibt überdies unklar, was diese fragwürdige Gleichsetzung zur Erhellung der (Nieder)Österreichischen Geschichte beiträgt? Oder geht es nur um die Relativierung des Nationalsozialismus?

Mit dem Weltkrieg und einem kurzen Exkurs zu unmittelbaren Nachkriegszeit bricht die Ausstellung überraschend ab, um in einen ganz anderen Modus zu wechseln. Den der unverblümten (partei)politischen Sicht auf die Zeit nach 1955. Auf das Trauma der Weltkriege folgt der Triumph der Moderne, aber in exquisiter niederösterreichischer Tracht. Der in den Landesfarben blau-gelb gehaltene Saal - unter demTitel „Niederösterreich im Wandel“ - würdigt in Wort und Text die Heroen der Österreichischen Volkspartei, so sie aus Niederösterreich kamen. Leopold Figl und Julius Raab gleich in einer Art von Triumphallee doppelt, jeweils in Gemälden und Skulpturen und einander gegenüber platziert, so dass ein Fluchtpunkt mit dem Gemälde der Unterzeichnung des Staatsvertrags gebildet wird. Später werden wir Alois Mock begegnen, in Form  profaner Reliquien (seinem Mantel und dem Hebelschneider vom Durchtrennen des Grenzzauns zu Ungarn). Erwin Pröll überlebensgroß und, als jüngstem Schaustück, noch einmal auf einem Foto mit der jetzigen Landeshauptfrau bei der Machtübergabe. Über allem schweben Politikersätze anderer Landeshauptleute in Leuchtschrift wie: „Ein Land ohne Hauptstadt, ist wie ein Gulasch ohne Saft“ (Siegfried Ludwig).

Die parteipolitische Penetranz, die hier regiert, ist in der Gründung des Museums verankert. Die lange Jahre dauernde Debatte über ein Republikmuseum nützte Erwin Pröll geschickt, um das Projekt nach Niederösterreich zu holen und die “Verantwortung” für Österreichs erstes Geschichtsmuseum an sich zu ziehen. Die parteipolitische Färbung findet sich nicht bloß im erwähnten Abschnitt, sie bildet eine subkutane Struktur des Museums, insofern mit der Erinnerung an die vermeintliche “Bollwerkfunktion” des “Kernlandes” Niederösterreich an ideologische Versatzstücke erinnert werden, die, und das habe ich in einer Diskussion des Ausstellungsteams an der Uni Graz erfahren, seinerzeit in der Parteileitung der ÖVP entwickelt wurden. Wie auch die nach dem Beitritt Österreichs zur EU modernisierte Selbstdefinition als “Brücke”. „Brücken bauen", so ist denn auch der letzte Ausstellungsteil benannt.


Methodisch begehen die Ausstellungsmacher ausgetretene Pfade. Träger der Informationen sind überwiegend die Texte, Objekte erscheinen illustrativ, wie Alibis, aber werden ihrem ästhetischen Eigensinn kaum genutzt. Da leiht man sich eine zeitgenössische Darstellung der Menschenrechte vom Pariser Musée Carnavalet, aber versteckt sie regelrecht unter anderen Objekten, lässt diesen Gründungstext Europas unübersetzt und macht auch sonst nirgendwo klar, welche epochale Zäsur das Zeitalter der Aufklärung bedeutet.
Ausstellungen sollten Deutungsangebote sein, bei denen die Autorschaft und der Standpunkt der Autoren ausgewiesen ist. Nichts davon findet man hier, eine Anonymisierung der Sprecherposition - „was will das Haus der Geschichte?“ (Abschnitt 01) - das fragt uns eigentlich wer? Eine verdinglichte Sprache riegelt die Informationen und Aussagen weitgehend gegen Interpretation durch den Besucher ab. Vieles wird als abgeschlossene Tatsache, also als Sachwissen vermittelt, wo eigentlich Reflexionswissen gefragt wäre. Methodisch ist das folgenreich, denn diese positivistische Informativität über eine wie abgeschlossen erzählte Vergangenheit hindert den Besucher daran, Verknüpfungen zur Gegenwart zu finden. So stammt das jüngste Objekt zu „Überwachung“ aus den 30er-Jahren. Der naheliegende Anschluss mit der brisanten Gegenwartsentwicklung wird erst gar nicht versucht.

Dazu kommt, dass die Konzentration auf Niederösterreich in der Darstellung der Zweiten Republik, ein weiteres Hindernis ist, die vorhergehenden zeitlichen Etappen der mit der Gegenwart zu verknüpfen. Und so über die Erfahrung von Zeitdifferenz Orientierungs- und Reflexionswissen zu gewinnen. Erst das machte Probleme der Gegenwart - Sozialabbau, Gefährdung demokratischer Errungenschaften, Rechtsradikalismus und Rassismus, Fremdenfeindlichkeit u.a.m. verständlicher.
Denn wie könnte ein österreichisches Museum, ein “Nationalmuseum” gar?, uns denn anders gelegen kommen, wenn nicht als ein entschieden diskursiver, demokratischer, Gegenwart aufklärender Ort, an dem wir begreifen dass und wie Vergangenheit jetzt wirkt und wie wir vernünftig gesellschaftlich handeln können und wollen.

Das verweigert uns das Museum und auch die Antwort auf die Frage, warum immer alles so gekommen ist, wie es keiner wollte. Wozu braucht also wer dieses Museum?


Mittwoch, 17. Januar 2018

Mittwoch, 22. November 2017

Kurzkritik: Das St. Pöltner Haus der Geschichte

Ich habe bislang kein Museum und keine Ausstellung gesehen, die derart durch parteipolitische Interessen geprägt ist. Das entwertet auch jene - wenigen - Teile, die inhaltlich interessant sind. Als gesamtösterreichisches Geschichtsmuseum, das es gerne sein will, ist es durch seine auf Niederösterreich konzentrierte Sammlung nicht tauglich, als langer Erzählbogen durch Jahrhunderte zu lückenhaft und zu stark auf politische Geschichte konzentriert. Als Schau- oder Freizeiterlebnis bietet es zu wenig attraktive Objekte, es sei denn man hält einen Steyr-Traktor der 50er-Jahre für eine historiografische Mona Lisa.
Regelrecht unerträglich wird das Museum dort, wo es in den Wissenschaften differenziert diskutierte Fragen in ideologisch tendenziöser Absicht vereinseitigt. So wird die totalismustheoretische Gleichsetzung des NS-Terror mit der der Sowjetunion der Stalinzeit zum Schlüssel der Deutung des Zweiten Weltkrieges. Und der Schlussteil, der Raum mit der Zeit seit 1955, zum Fest der Niederösterreichischen Volkspartei. In Blau-Gelb. Buchstäblich.
Der Ex-Landeshauptmann - dem auch das jüngste Objekt gewidmet ist, ein Foto mit der Machtübergabe an seine Nachfolgerin, hat für ein Stück Geschichtspolitik gesorgt, das man - grade jetzt, grade in Zeiten wie diesen -, brauchen kann, wie einen Kropf.
Ein überflüssiges, ärgerliches Museum mehr. Keine Fahrt nach St. Pölten wert.

Eine ausführliche Kritik folgt.