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Samstag, 23. Dezember 2023

Das Museum als Wohnzimmer und Marktplatz

 

In Deutschland haben in diesem Jahr 9000 Geschäfte dicht gemacht, von aufgegebenen Büros gar nicht zu reden. Das läuft jetzt alles digital, schreibt Niklas Maak in der FAZ. Was tun mit dem ganzen Platz? Der Künstler Christian Jankowski hatte eine Idee und in Lübeck ein paar aufgegebene Kirchen mit Schlafsofas und anderem möbliert. Genial, findet Maak: "Menschen lagen hier in den Kissen, als seien sie zu Hause, der Effekt war fast surrealistisch und vollkommen erstaunlich: Die Trennung zwischen dem öffentlichen Raum (der durch die Folgen der Digitalisierung gerade in großen Teilen verödet) und dem privaten Wohnzimmer (von dem aus online gearbeitet und online eingekauft wird) verschwamm. ... Schon heute stellen Museen wie die Tate Modern fest, dass gerade jüngere Menschen die Foyers der Ausstellungshäuser als kollektives Wohnzimmer nutzen; dass sie sich dort treffen und ganze Tage verbringen und tun, was früher auf dem Marktplatz stattfand: Informationen austauschen, Dinge kaufen, die Vorbeigehenden beobachten."

Museologische Christianisierung

Das Bayrische Nationalmuseum wünscht uns was

Giorgia Meloni, neofaschistische Minsterpräsidentin Italiens, Friedrich Merz, CDU-Parteivorsitzender und Johanna Mikl-Leitner, Landeshauptfrau Niederösterreichs können nicht irren: sie alle wollen zu Weihnachten Liedgut, Baum und Krippen als Stärkung der "Leitkultur" (F.Merz).

Eine Speerspitze dieser christlichen Leitkultur sind Museen, die zuverlässig alljährlich Einschlägiges aufbereiten. Wie viele Museen in Österreich werden wohl heuer wieder Krippen ausstellen?

Friedrich Merz: "Wenn wir von Leitkultur sprechen, von unserer Art zu leben, dann gehört für mich dazu, vor Weihnachten einen Weihnachtsbaum zu kaufen. Es ist die Art von christlich-abendländisch geprägter kultureller Identität, die sich über Generationen überträgt, von der unsere Kinder geprägt sind und die sie dann so oder so ähnlich selbst weitertragen.


Italiens Regierung will gesetzlich regeln, wie die Feiertage an Schulen und Unis auszusehen haben. Wer Krippen vom Schulhof entfernt, könnte dann bestraft werden. Der Gesetzentwurf besteht laut einem Bericht der Zeitung Il Messaggero aus vier Artikeln. Die Einleitung behandele "die Achtung der christlichen religiösen Traditionen und der sie kennzeichnenden Symbole".

Mikl-Leitner "Das christliche Brauchtum wird hoch gehalten und das Kreuz in den Klassenzimmern nicht angegriffen. Es ist ein wichtiges Symbol für unseren Kulturraum"


Vorarlberg-Museum: "Laternenkrippen, Schneekrippen, orientalische oder alpenländische Krippen – das Krippenbauen ist in Vorarlberg überaus populär. Das vorarlberg museum wollte diese Volkskunst dokumentieren und fand im Landeskrippenverband mit dem damaligen Landeskrippenpfleger Erich Kirner einen idealen Partner. 19 Krippenvereine des Landes haben in den letzten Jahren eigens für das Landesmuseum je eine Weihnachtskrippe gebaut. Eine Sammlung ist entstanden, die nun in der heimeligen Atmosphäre des Veranstaltungssaals zu sehen ist." 

Und noch einmal das Landesmuseum, diesmal aktuell, 2023. Über diese Krippe ist alles bekannt. Der Krippenverein Braz war einer von 19 Krippenbauvereinen Vorarlbergs, die eigens für die Kulturgütersammlung des Landes eine Krippe gebaut und gestiftet haben. Wir bedanken uns bei Ihnen für Ihr Interesse an den Objekten mit Fragezeichen aus der Sammlung des vorarlberg museums, einige wertvolle Hinweise gingen ein. 
Wir wünschen Ihnen frohe Weihnachten!







Sonntag, 20. August 2023

ARTEM NON ODIT NISI IGNARUS. Eine Petitesse zur Museumspolitik als Diskriminierung

 

Ehedem Neues Museum, heute Museum für Vor- und Frühgeschichte. Berlin. 

Die Inschrift über dem Neuen Museum lautet: Artem non odit nisi ignarus. Übersetzt wird das mit: Nur der Unwissende verachtet die Kunst.

Eine Inschrift die erstaunt. Denn sie feiert nicht die Institution oder ihre Aufgabe, sondern ein Kriterium der Distinktion. Es gibt Wissende und Unwissende. Selbstverständlich ist das eine soziale Distinktion. Bildung hat, wer entsprechend (schulisch) ausgebildet wurde und in der Familie mit Bildung infiziert wurde. Und es hängt fast ausschließlich vom sozialen Status ab, in welche Gruppe man heineinwächst.

Verächter der Kunst - das stellt, wohl auch heute noch, aber Mitte des 19.Jahrhunderts, als das Museum erbaut wurde, erst recht eine klare Disqualifikation dar. Kunst liebt doch jeder, hat jeder zu würdigen. Wer das nicht tut, macht einen Schritt heraus aus der Gemeinschaft der Gebildeten und Wissenden. Es ist ein Ausschluß.

Die Inschrift feiert einen Ausschluß.

Man sollte meinen, daß das Wissen über die ungleiche Verteilung der Bildungsgüter inzwischen gerade dort gut verankert wird, wo diese Ungleichheit produziert und reproduziert wird.

Mitnichten.

Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preussischer Kulturbesitz schreibt anläßlich der Eröffnung des rekonstruierten Neuen Museums als Museum für Vor- und Frühgeschichte: "Zwei Großprojekte in der Mitte Berlins stehen in ganz besonderer Weise für die Verbindung von Wissenschaft und Kunst in Vergangenheit und Zukunft und werden sie in ganz besonderer Weise beleben. Das eine
von beiden ist vollendet, das andere im Entstehen begriffen: Neues Museum und Humboldt-Forum. »Artem non odit nisi ignarus« – dieser programmatische Sinnspruch des Neuen Museums krönt nun nicht mehr eine Ruine, sondern wird wieder mit Geist und Anschaulichkeit erfüllt."

Ein klares Bekenntnis zum distinktiven Sinn der Inschrift. Ist das Herrn Parzinger bloß "passiert", oder ist er der Meinung, daß es im Museum noch immer um ein Hochamt von Kunstbeflissenheit und Bildungswissen geht? Daß es noch immer bürgerlicher kultureller Hegemonie verpflichtet ist.

(Hermann Parzinger: "Artem non dit nisi ignarus". Museen als Orte von Wissenschaft und Kunst. 
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
https://edoc.bbaw.de › files › 04_Parzinger)

Dienstag, 16. Mai 2023

Museumsziel: Wohlbefinden

 

Wer auch immer "Wohlbefinden" versprochen hat, besonders klug gewählt ist dieses "Motto nicht. Es passt eher ins Verständnis vom Museum als Freizeitkonsum und verschiebt den Schwerpunkt von der gesellschaftlichen auf die individuelle Erfahrung. "Wellness" statt (altmodisch gewordener?) Bildung. Das ist eine Verschiebung, die stattgefunden hat und noch stattfindet. Statt "Lernort" jetzt "Oase". Warum nicht? Nehmen wir ein sehr ähnlich klingendes Wort. "Wohlfahrt". Das ist das, was der Staat der Gesellschaft geben soll, das "Glück aller", das, durch eine Verfassung garantiert, auch durchs Museum allen zuteil werden soll, sofern sie Staatsbürger sind oder sein wollen. Als solche selbst für ihre Wohlfahrt sorgen. Fürs "Wohlbefinden" genügt der Bürger als Konsument. Statt der "Bundeslade der Nation" (Beat Wyss, gibts jetzt den Wochenendurlaub in der Therme.

Donnerstag, 30. März 2023

Das Museum ist zu selbstverständlich


Vor Jahren stellte auf einer Tagung eine Kuratorin das Konzept eines Stadtmuseums für eine deutsche Großstadt vor. Zu meiner Verblüffung berichtete sie, daß das Museum von der Bevölkerung gar nicht gewünscht werde. Es wurde dennoch realisiert. Ein Schweizer Freund erzählte mit großem Bedauern, vom Verschwinden von kleinen Museen in der Region, in der er lebt, und daß er sich als Berater um deren Weiterbestand bemüht. Für ihn sieht es so aus, als würden andere kulturelle Betätigungen für die Bewohner attraktiver geworden sein. Auch aus Österreich mehren sich Beispiele dafür, daß vor allem ehrenamtlich getragene lokale Museen scheitern, weil sich niemand mehr findet, der sie betreiben will. Auch in solchen Fällen sieht sich die Politik oder private Initiativen oft veranlasst, zur „Rettung“ der bedrohten Institutionen einzugreifen indem man Beratungen, Tagungen und Weiterbildung organisiert und finanziell interveniert. 

 Allen Fällen ist gemeinsam, daß das Museum an und für sich erhaltenswert erscheint. Auch wenn das Desinteresse offensichtlich wird, soll es nicht untergehen. Das Museum gilt als fraglos anerkannter Wert. Man fragt erst gar nicht nach den Aufgaben des Museums, nach seinem aktuellen Sinn. Museen gelten als schützenswert, als wären sie eine vom Aussterben bedrohte Spezies. Das Festhalten an einer Idee, deren Sinnhaftigkeit man nicht mehr hinterfragt, erspart einem einfache und naheliegende Fragen selbst angesichts drohender Abwicklung von Museen: Kann es nicht sein, daß sich die einschlägigen Konzepte, die gebotenen Inhalte, die konventionellen Erzählungen, die angesammelten Objektwelten überholt haben, keinen zeitgemäßen Bedürfnissen mehr entsprechen, die gegenwärtige Lebenswelt potentieller Besucherinnen nicht mehr abbilden und erreichen? Kann es nicht sein, daß das Museum sich allmählich abkoppelt von den immer dringlicher werdenden Gegenwartsfragen, den sozialen und politischen Konflikten, den Krisen, die mehr und mehr den Alltag der Menschen erreichen? 

Ist das nicht anders bei der Literatur, dem Kino, dem Theater, selbst bei der aufwändigen Kunstform Oper. Hier gibt es Debatten ums Grundsätzliche, kühne Projekte, radikale Transformation, rasches Reagieren auf die multiplen Krisen mit ihren vielen Ursachen. Den durch die Corona-Pandemie bedingten Problemen stellt man sich: Publikumsschwund, Desinteresse der jüngeren Generation, Veralten ästhetischer Haltungen uam. Diese selbstkritische Debatte bleibt nicht auf Fachzeitschriften und Wissenschaftszirkel begrenzt, sie reicht bis in die Feuilletons der Zeitungen, in die PR-Interviews mit Künstlern aber vor allem auch in die aktuelle Praxis. Die Zweifel an den Kunstformen werden offen thematisiert und in der Praxis erprobt man Alternativen und Auswege, sucht auch das riskante Experiment. 

Ist es nicht so, daß es in Literatur, Theater oder Kino weitaus mehr und radikalere Infragestellung der überkommenen Formen gibt, der gesellschaftlichen Aufgaben, der Produktionsbedingungen, der Förderungswege als beim Museum? Dabei gäbe es beim Museum genug Anlass zum reflexiven Innehalten. Nehmen wir ein Beispiel: Die nur dem Museum eigenen Restitutionsdebatten, sei es infolge des NS-Raubes oder der kolonialen Ausbeutung, hat das prinzipiell affirmative Verhältnis zum Museum nicht beschädigen können. Das Wissen um die Grundlage vieler Sammlungen in Enteignung, Raub, Diebstahl kratzt nicht am Image der hochkulturellen Institution, die vorgeblich das Kostbarste unseres materiellen Erbes bewahrt. Auch die neue Bewegung der Klimaaktivistinnen, die sich ja so öffentlichkeitswirksam gegen Kunstmuseen richtet, bewirkt eher eine Verteidigung der unverzichtbar scheinenden Institution. 

Die Kehrseite der Verteidigung der „Heiligen Schatzbildung“ des Museums ist die Aggression die die Aktivistinnen trifft. Kaum jemand will sich eingestehen, daß die Attacken der Klimaktivistinnen nicht so sehr der Kunst gelten, als dem problematischen Unsterblichkeitsversprechen der Institution bei möglichst unverändertem Status. Der Aktivismus macht darauf aufmerksam, daß eben nichts und niemand in einer dystopisch geformten Zukunft „übrig“ bleibt. Das Verschwinden wird alles und alle treffen. Niemand will und kann sich das Museum anders als zeitlich unbegrenzt vorstellen. Aber No future gilt auch für das Museum und für die gesamte kulturelle Überlieferung, daran erinnern die Proteste. 

Es gibt schlechte Literatur, es gibt schlechte Filme und es gibt schlechtes Theater. Aber es gibt kein schlechtes Museum. Und daher auch keine Notwendigkeit, über das Museum grundsätzlich nachzudenken. Es existiert keine Museumskritik. Museen werden, wenn sie sich überholen, nicht geschlossen, sondern sie können sich jahrzehntelang irgendwie dahinschleppen, wie das Heeresgeschichtliche Museum in Wien zeigt, dessen Ausstellungen z.T. fast schon siebzig Jahre alt sind. Vor strukturellen Widersprüchen und Schwächen der Institution Museum verschließt man die Augen. 

Was ich damit meine, erläutere ich wiederum an einem Beispiel. Museen beschäftigen sich mehr denn je, sogenannte Nichtbesucher zu gewinnen. Es gibt Forschungen und Programme dazu. Aber die lang bekannte Tatsache, daß es soziale und bildungspolitische Gründe dafür gibt, daß sich etwa 50% der Bevölkerung dem Museum verweigern, wird weitgehend ignoriert. Die soziale Distinktion, die dem Museum zugrunde liegt und die vom Museum noch verstärkt wird, bleibt tabu. Ich kenne keine nachhaltig wirksamen Projekte, mit denen das Einbinden ausgeschlossener Gruppen gelungen wäre. Einzelfälle gibt es, strukturell bewegt sich nichts. 

Im Bemühen um Nichtbesucher steckt eine erstaunliche Blindheit: man unterschätzt die hegemoniale Funktion von Kultur. Deren Werte werden von eher schmalen Eliten aufrecht erhalten und tradiert. Nun möchte man auch von Nichtbesuchern verlangen und erwarten, daß sie diese Werte teilen. Wenn aber diese Werte offensichtlich für die Angesprochenen gar keinen Wert darstellen? Denn: Wer nicht durch Familie und Schule im Umgang mit Bildungsinstitutionen vertraut gemacht wurde, wird Museen kaum aufsuchen, weil er dort kaum seine Lebenswelt wiederfinden wird. Er ist doppelt ausgeschlossen, ihm fehlen die Werkzeuge und das Motiv. Dennoch hält man das Museum für eine derart bedeutende Einrichtung, daß sie für jedermann von Interesse sein soll und der Anspruch erhoben wird, daß jedermann jedefrau von ihm Gebrauch machen sollen. 

Die Anstrengungen, die man zum Anwerben von Nichtbesuchern unternimmt, ähneln den Methoden des Marketings und der Warenwerbung. Sie sollen den Kulturkonsum erleichtern und verbreitern – eine Marktstrategie -, aber sie bewirken so gut wie nichts. Das hält man dann auch noch für demokratisch. Während man ignoriert, wie undemokratisch die sozialen und bildungspolitischen Grundlagen des Konsums von Hochkultur sind, die einen so großen Teil der Bevölkerung davon fern halten. Erst wenn man zur Kenntnis nimmt, daß auch Museen ihre fragwürdigen Seiten haben, Menschen aktiv ausschließen, erst wenn man sich auf sowohl strukturelle als auch in der (Ausstellungs)Praxis wirksame Probleme einläßt, wird man imstande sein, Konzepte zu entwickeln. Konzepte, die die Kritik an der Institution aufnimmt und ihr gerecht wird. 

Museumskritik ist nötig und überfällig, um seine gesellschaftliche Rolle immer wieder zu befragen und zu justieren. Diese Kritik müsste in den Medien geleistet werden und sie müsste vor allem von den Museen selbst geleistet werden. Davon sind wir weit entfernt. Worauf warten Museen angesichts der drängenden und vielfachen Herausforderungen? 


Zwei Literaturhinweise zu Publikation, die Kritik am Museum leisten, wenngleich sich die Probleme seit deren erscheinen vertieft und vermehrt haben, denen sich Museen ausgesetzt sehen: Daniel Tyradellis: Müde Museen. 2014. Walter Grasskamp: Das Kunstmuseum. Eine erfolgreiche Fehlkonstruktion. 2016 

Dieser Text ist eine überarbeite und erweiterte Fassung eines Beitrags der in der Zeitschrift des Museumsbundes erschienen ist. Neues Museum, März 2023, Heft ½ S.82/83

Freitag, 28. Oktober 2022

Matthias Beitl im Gespräch. Das Museum als geschützter, sozialer und demokratischer Ort

Wie oft hört man einen Museumsleiter (oder eine Leiterin) ausführlich (fast dreißig Minuten) über Sinn und Zweck des Musuems reden? Matthias Beitl, Leiter des Volkskundemuseums in Wien, wurde diese Möglichkeit von der Tageszeitung Der Standard eingeräumt. In Form eines Podcasts, den man unter dieser Adresse abrufen kann: https://www.derstandard.at/story/2000140341166/wie-das-museum-der-zukunft-aussehen-koennte

Matthias Beitl hat seine Zeit gut genutzt und über Digitalisierung informativ und eher skeptisch gesprochen. Auch in der Debatte um Auswirkungen der Klimakrise, der jüngsten Teuerungswelle etc. argumentiert er wohltuend aus der Praxis heraus.

In der „Königsdisziplin“ der Zukunftsprognose zeigt er sich trotz aller Krisenphänomene optimistisch, was den Geschützen und sozialen ebenso wie demokratischen Ort Museum betrifft.

Hörenswert als facettenreicher und klug argumentiertet Beitrag zu einer grundsätzlicheren und gründlichen Musuemsdenatte.

Samstag, 27. August 2022

Museum was? (Sokratische Frage)

Auf einer Linie mit zwei Endpunkten gedacht: 

Wem liegt das Musuem näher? 

Der Aschenunrne oder dem Sportpalast?

Montag, 22. August 2022

"Glacial Period". Eine Museumsdystopie


Glacial Period. Überlebt das Museum?                                                                                                                                               

Eine Gruppe von Menschen ist in einer eisigen, unwirtlichen, leeren Landschaft unterwegs. Sie sind auf der Suche nach Spuren, wobei ihnen selber und uns Lesern unklar ist, was das ist, das Spuren hinterlassen haben könnte. Kälte, Wind, Orientierungslosigkeit führen zu Spannungen zwischen den Expeditionsteilnehmern. Wie soll man vorgehen, wie einigt man sich auf einen Plan, wer entscheidet über die Wahl des Weges? Begleitet wird der kleine Trupp von einer Gruppe von Tieren, die, wie wir später erfahren, Kreuzungen aus Hunden und Schweinen sind. Hulk, eines der Mischwesen, verfügt über einen extrem sensiblen Geruchssinn, der sich erstaunlicherweise auch auf den Verlauf von Zeit konzentrieren läßt. Er wird der Held dieser Geschichte werden.

Ziellos irrt die Gruppe durch die depressive Öde einer offensichtlichen Eiszeit, als plötzlich ein Erdbeben eine Ruine durch das Eis brechen läßt. Wer unter den Lesern mit dem Bauwerk vertraut ist, erkennt Reste des Louvre. Einer seiner Pavillons ragt nun mit seinen obersten Geschossen aus dem Eis und ermöglicht den Forschern den Einstieg ins ihnen völlig unbekannte Innere. 

Hulk ist unbemerkt von seinen Begleitern, von denen er getrennt wurde und die ihn verirrt glauben, an einer anderen Stelle des Bauwerks zufällig unter die Oberfläche geraten und vor gewaltigen Steinmauern gelandet. Wir erkennen, wenn wir mit dem unterirdischen Louvre vertraut sind, daß es jene Reste der mittelalterlichen Königsburg sind, die beim Ausbau des Grand Louvre unerwartet entdeckt wurden und seither im Rundgang unter der Erde besichtigt werden können. 

Hulk ratlos vor der Königsburg
   

Die anderen sind gleichzeitig an anderer Stelle eingestiegen und in Räume gelangt, wo sie  merkwürdige Gebilde vorfinden, die ihnen vollkommen unvertraut sind und sie vor Rätsel stellen. Zum Beispiel flache, an den Wänden befestigte Gegenstände mit merkwürdigen Darstellungen. Es sind, wie wir sofort erkennen, Gemälde, deren Sujet und Beschriftung - etwa „Delacroix“ -, zu allerlei Spekulationen Anlass gibt, was das gewesen sein könnte und worauf das Wort denn hindeutet. Man ist mit allem unvertraut, hält die Architektur für eine Stadt, die Bilder mal von rätselhaften Wesen, mal von Kindern dann vielleicht sogar von Tieren hervorgebracht, da man ja auf Abbildungen malende Affen oder Bären erkennt.  

Diese Gemälde existieren wirklich, man findet sie in der weitläufigen Gemäldegalerie im Louvre.

Wo sind wir hier? Und wann? In einem utopischen Film, in einem dystopischen Roman? Mitnichten. 2005 erschien die vom Musée du Louvre in Auftrag gegebene Graphic Novel „Glacial Period“. Ihr Autor ist Nicolas De Crécy, ein französischer Autor und Zeichner, der unter anderem für Walt Disney Frankreich arbeitete, ehe er sich der Publikation von Büchern zuwandte, die ihn zum vielfach ausgezeichneten Star der Branche machten.

In einem Marketingtext zu seinem Louvre-Buch finden wir diese Zeilen: „De Crecy, at the sight of the incredible richness of the museum's collection was overwhelmed and felt small and ignorant. The result is a story set thousands of years hence in a glacial period where all human history has been forgotten and a small group of archeologists fall upon the Louvre, buried in age-old snow. They cannot begin to explain all the artifacts they see. What could they have meant? Their interpretations are nonsense, absurd, farcical.“ Und von Grécy selbst hören wir wird: "I enjoyed it, and recommend it to those who can laugh at their cultural selves." 


De Crécy nutzt in seiner Story die enorme zeitliche Distanz zwischen der historischen Zeit des Louvre und der Zeit seiner Wiederentdeckung für einen verfremdeten Blick auf unsere kulturellen Werte - und das garniert mit ziemlich guten Witzen, verzweifelten Spekulationen, was das alles einmal gewesen sein könnte, sowie philosophischen Überlegungen, die nicht weniger als die Frage der Repräsentation streifen. Denn wofür steht das alles, diese Objekte, die Räume, der Bau? Die ratlosen und streitbaren Gespräche der Expedition verraten vor allem eines: der einstige Sinn, den nur wir Leser kennen, erschließt sich für die Eindringlinge nicht mehr. Im Grunde bedeutet das alles nichts mehr, wirft Fragen auf, die niemand mehr beantworten kann.

Hier ist sie also, die Dystopie vom Ende des Museums, ernst genommen und buchstäblich ausgemalt. Der Museologe Krzysztof Ptomain war der erste der, 2021, das definitive Ende des Museums prophezeit hat. Angesichts der COVID-Pandemie und des Klimawandels würde das Museum in nicht so ferner Zukunft obsolet werden, nicht nur unnütz angesichts der sich verstärkenden Krisen sondern geradezu aggressiv attackiert angesichts seines Versagens und seiner Nutzlosigkeit in Zeiten nahender Katastrophen.

Greis Novel kann man als einen Versuch begreifen, was ein „Danach“ bedeuten könnte. Die Katastrophe ist hier schon passiert, sie ist schon lange vorbei. Irgendwo haben Menschen überlebt, "im Süden", wie der Text vage angibt. Von dort ist der Trupp aufgebrochen, um das verheerte Territorium zu erkunden.

Es geht in unserer Erzählung um das große Thema dessen, was aktuell mit dem Wort Klimawandel bezeichnet wird - eine eher harmlose Bezeichnung für einen Wandel, der ein menschengemachtes Ende der Gattung Mensch bedeuten könnte. Hier, in „Glacial Period“, gibt es „uns“ zwar noch, als Archäologen, Historiker, Forscher, aber als Menschen deren Existenzweise ebenso unklar ist, wie der Antrieb aus dem sie aufgebrochen sind.

Die Welt die sie vorfinden, dieses ruinöse Fragment einer versunkenen Kultur, der Louvre-Komplex mit seinen Artfekaten aus tausenden von Jahren, bleibt ihnen unverständlich. Als das Wort Museum auftaucht, löst es Staunen aus und Fragen, die ohne jede Antwort bleiben. Niemand weiß (mehr), was ein Museum ist. Eine Botschaft der Novel lautet: Diese akkumulierte Kultur, die sie vorfinden, sie wird sinnlos gewesen sein.

Nur Hulk, der sogar über die Fähigkeit zur C 14-Datierung verfügt, ist imstande, mit den Dingen Kontakt aufzunehmen, schließlich mit ihnen sprachlich zu kommunizieren. Das findet aber ganz und gar nicht innerhalb der uns vertrauten Museumskonventionen statt. Denn die Dinge sind sehr lebendig, sie tauschen sich untereinander aus und vergleichen sich und 
De Crécy leistet sich auch den Witz, daß sich ausgerechnet die Mumie für das lebendigste aller Wesen hält. Ein Witz mit der Dialektik, die in der Praxis und Idee der Mumifizierung selbst steckt, nämlich ein über den biologischen Tod hinaus ewig währende Existenz zu gewähren. 

Ihre Lebendigkeit erlaubt den Dingen, Hulk von ihrer langen Museumsexistenz zu erzählen, die sie ganz schön ungemütlich und unbehaglich fanden. Sie klagen über das Angestarrtwerden, ihr Vitrinenleben. Sie möchten dem einen Ende setzen, sind aber ratlos, wie das möglich sein soll. Aber sind es noch Dinge - wenn sie doch denken, reden und handeln können, Hoffnungen hegen, Erinnerungen haben, wie die Dinge, die in manchen überlieferten Märchen hilfreich oder bedrohlich agieren? Jedenfalls manifestiert sich in ihnen ein musenlogische Frage, nämlich die, wie und ob und unter welchen Umständen die Dinge im Museum zu uns sprechen können. Hier können sie es.

Hulk hat schließlich die Idee zur Organisation des Ausbruch der „Dinge“. Daß sie erlöst werden aus ihrem als höchst fragwürdig empfundenen Museumsdasein, ist die gründlichste aller Provokationen. Sie ist gegen die Idee des Museums gerichtet. Es ist doch der privilegierte Ort, an den Dinge versammelt werden, gezeigt, bewundert. Ihre Aufbewahrung rettet sie doch davor, zugrunde zu gehen, vernichtet oder Vergessen zu werden, verbraucht und abgenutzt.

Aber die Dialektik des Museums funktioniert wie die der Mumie. Die Dinge verlieren im Museum ihre Bedeutung, ihre Funktion, ihren einstigen Sitz im Leben. Sie erleiden einen Musuemstod. An ihre Stelle treten neue Bedeutungen und Funktionen und die Notwendigkeit, ihren einstigen "Sinn" zu vermitteln, etwas was meist nur bruchstückhaft und meist gar nicht mehr gelingen kann. So wird ihnen ein Überdauern in verwandelter (museifizierter statt mumifizierter) Form gewährt. 

Diese Infragestellung des Museums - ist sie nicht bedrohlicher als die Vorstellung eines Unterganges in einer mehr oder weniger fernen Endzeit? Denn hier droht die Implosion der Institution nicht von außen, von einer unbeherrschbaren Natur, sondern aus der Institution selbst, aus einem ihrer zentralen Widersprüche. In ihm kommt das Leben der Dinge zu Ende das durch eine Illusion ersetzt, die als Museumsleben vergeblich die alten Bedeutungen und Funktionen mit retten will.

Die Botschaft de De Grécys lautet ja, aus ihrem Munde selbst: Das kann man Objekten nicht antun, sie in Museen zu sperren. Sie werden dort um alles gebracht. Und weil die Dinge das in "Glazial Period" wissen, drängen sie auf Beendigung ihrer Musuemsexistenz.

                                                                                                                                            

Die Idee zum Ausbruch aus dem Museum hat vor Jahrzehnten schon der Religionswissenschafter Klaus Heinrich formuliert. In einem unbeachteten Text, den "ernsthafte" Museumsleute und Museologen wohl kaum goutieren würden. Praktisch könnte Grecys Idee vom großen Ausbruch eher von einer existierenden Museums-Szenografie inspiriert sein, als von philosophischer Spekulation. 

Im Pariser Museum d’Histoire Naturelle gibt es ja im Erdgeschoss einen Zug der Tiere, quer durch die gewaltige Halle - auch so ein Paradox, denn es sind Taxidermien, ausgestopfte Löwen, Giraffen, Pelikane, Zebras, Elefanten u.v.a.m., die da "in Bewegung" sind. Schön paarweise unterwegs, erinnern sie uns an die biblische Überlieferung des Zugs der Tiere in die rettende Arche. Wovor werden sie hier gerettet? Auch vor einem Weltuntergang? Der Sintflut.

Das Museum d'Histoire Naturelle in Paris gibt uns die Botschaft mit: das Museum ist der Ort der Rettung der Dinge (unserer Kultur, unserer Werte, unserer Erinnerungen). Es ist die Idee, daß "wir" Herr über die Dinge sind und es in unserer Hand liegt, sie zu bewahren und gar zu retten. Bei dem metaphorischen Bild im Pariser Naturmuseum bleibt aber offen, ob es tatsächlich ein Einzug ist, einer ins Museum, das als Arche alle Dinge, genauer gesagt: die Natur rettet, oder ob diese Tiere nicht grade dabei sind, das Museum auf Nimmerwiedersehen durch die gewaltigen Glasfenster zu verlassen, auf die sie zulaufen.

Als das Buch "Glacial Period" erschien, war die Debatte zur Klimakrise noch nicht beim Begriff Anthropozän angekommen. Noch nicht bei der Einsicht daß der Mensch zu einem bedrohlich großen Einflussfaktor auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist. Anders gesagt, noch nicht bei der Ahnung, daß die Ressource „Planet Erde“ vom Menschen verbraucht und von ihm in naher Zukunft für ihn unbewohnbar gemacht worden sein könnte. 

Dennoch antizipiert diese witzige, medial interessante Parabel de Grecy's bereits dieses Problem und die Fragen, die sich daraus ergeben. Was kommt eigentlich danach? Und es wirft eine Frage auf, die erst ganz vereinzelt gestellt wird. Und die irgendwann unausweichlich auf uns, die Eingeborenen der Elitenkultur und Liebhaber der Museen zukommen wird: Was wird aus den Museen?



Nicolas Crécy: Glacial Period. Paris, Musée du Louvre Edition 2005


Das Buch enthält am Ende eine penible Liste aller Kunstwerke des Louvre, die im Buch „auftreten“, samt den Angaben zu Datierung, Herkunft und Bezeichnung sowie den Standort im Louvre-Museum


Samstag, 26. März 2022

Die Krisen des (Kunst)Museums. Barry Schwabskys Museumskritik

Die Krisen des (Kunst)Museums

 

Grundsätzliche Überlegungen zum Sinn und Zweck von Museen sind eher selten. Das Museum stellt sich nicht in Frage. Kritik kommt meist von Außen und erreicht selten die Praxis. Der dramatische Klimawandel wird von Museen in Vorhaben zur Steigerung der Nachhaltigkeit übersetzt, die Corona-Pandemie wird mit Hilfe staatlicher Überbrückungshilfen als scheinbar nur materielles Problem gemeistert. Die dritte und jüngste Krise, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, wird mit symbolischen Gesten und vereinzelten praktischen Hilfsmaßnahmen beantwortet. 

Allen drei Krisen gemeinsam ist, daß sie nicht aus dem Museum selbst kommen und als mehr oder weniger bedrohlich für die Institution zwar praktisch beantwortet aber kaum theoretisch reflektiert werden. Inhaltlich ändert das die Museen kaum. Wenn eben die Bundesmuseen ukrainischen Flüchtlingen freien Eintritt gewähren, darf man sich fragen, was diese Museen in der außergewöhnlichen Situation, in der sich die Flüchtlinge befinden, denn zu bieten haben. (1) Welche gesellschaftliche Rolle haben denn Museen und wie verändert sie sich gerade?

 

Der Kunstkritiker Barry Schwabsky hat kürzlich einen Text in The Nation veröffentlicht, der solche Fragen stellt, aber er hat andere als die genannten Krisen im Auge: In seinem Essay “Agents of Mailaise. Are Museums in Crisis?” (8.3.2022) geht es um den Wandel, dem die Museen ausgesetzt sind und dder sie eigentlich zu verstärkter Reflexion zwingen sollte. (2)

Er erinnert am Beginn seines Essays an Alexander Dorner, den praktisch wie theoretisch aktiven Museumsreformer der Weimarer Republik, der in die USA emigrierte und dort an der Frage weiterarbeitete, welchen gesellschaftlichen Stellenwert den Museen, insbesondere Kunstmuseen haben sollten. (3) Dorners Forderung, das Kunstmuseum müsse „seinen Charakter von einem Lagerhaus zu einem aktiven, funktionierenden Gestalter unserer zukünftigen Kultur ändern“ könne heute genauso wieder gestellt werden, denn, so Schwabsky, Museen seien „größtenteils gleich geblieben“. Dieser Befund gelte auch angesichts eines Museumswachstums, einer exponentiellen Zunahme der Zahl an Museen gerade in den letzten Jahrzehnten. Diese Entwicklung habe sich aber auf ein "Wie viel mehr und wie viel größer?" beschränkt und auf die Übertragung dieses Prinzips auf das museale Sammeln. Was das Sammeln zeitgenössischer Kunst unter diesem Primat betreffe, versuche man „Geschichte im Voraus zu schreiben“, aber mit dem Risiko, „sich auf eine Zukunft festzulegen, die nie eintritt.“


Dorner prophezeite das Überleben der Museen nur für den Fall, "wenn sie bereit sind, ein neues Kapitel in ihrer Lebensgeschichte zu beginnen". Doch heute, vermutet Schwabsky, „scheinen die Museen keine wachsenden Ambitionen oder Verantwortlichkeiten zu haben; sie scheinen stattdessen von einem tiefen Unwohlsein befallen zu sein“. Die Vorstellung von dem, was ein Museum ist, kann sich nicht mehr auf eine stabile soziale Rolle stützen, die scheinbar festgefügt aus „Autorität, Luxus, Größe“ und der Vermittlung „einer höheren Erfahrung“ bestehe. Museen sähen sich deshalb gezwungen, ihre Rolle zu reflektieren und zu deklarieren was sie tun und warum sie es tun.

Schwabsky erweitert dann den Blick über Museen moderner und zeitgenössischer Kunst auf jene „enzyklopädischen“ Museen, in denen ein Ein- und Überblick in eine Vielzahl von Kulturen angestrebt wurde und wird und bringt eine Herausforderung ins Spiel, die relativ jung ist. Die von den Restitutionsdebatten angeheizte Einsicht in unrechtmäßige und gewaltförmige Erwerbspraktiken, die Grundlage gerade der enzyklopädischen Sammlungen sind. Zwar gäbe es namhafte Fortschritte in der Aufarbeitung des unrechtmäßigen Erwerbs – Schwabsky spricht unverblümt von anrüchigemErwerb und krimineller Plünderung -, aber die europäischen und US-Museen müssten Ihre Bemühungen um universale Repräsentation aufgeben. „London, Paris, Berlin und New York werden zu Recht nicht mehr als die panoptischen Knotenpunkte verstanden, von denen aus alle Künste und Kulturen der Welt überblickt, systematisiert und abgerechnet werden können“.

Über ein Beispiel kommt Schwabsky auf eine weiteres Krisenphänomen, das Artwashing. Sein Beispiel entnimmt er – etwas überraschend einer historischen Kunstepoche, der florentiner Renaissance. Kaufleute hätten ganze Kapellen und deren Ausstattung aus Schuld in Auftrag gegeben, also das was wir heute als Meisterleistungen der Kunst würdigen, in erster Linie  Sühne für ihre zeitgenössisch als sündhafter Wucher deutbaren Geschäfte gedacht war. 

Was damals unhinterfragbare Praxis war, würde heute zunehmend thematisiert und zu Protesten führen. Schwabsky nennt Warren Kanders, stellvertretender Vorsitzender des Whitney Museums in New York, der „nach lautstarken Protesten von Künstlern“ die Institution verließ, „als bekannt wurde, dass er unter anderem eine Firma besaß, die Militär- und Strafverfolgungsausrüstung herstellt, darunter Tränengasgranaten, die an der Grenze zwischen den USA und Mexiko und angeblich auch in Palästina und anderswo eingesetzt wurden“.  


„Und am berüchtigtsten von allen ist die Familie Sackler, Mäzene der Met, der Tate, des Louvre und so vieler anderer, die jede Verantwortung für die von ihnen geförderte Opioid-Krise ablehnt, die fast eine halbe Million Amerikaner getötet hat“. (4)

Es geht hier nicht um einzelne „Fälle“ oder bestimmte Personen, sondern um eine Entwicklung hin zur Ökonomisierung der Kultur, die tief auch in die Museen hineinwirkt.

„… die Sacklers und der Rest (sind) zu einem Beispiel für eine Welt geworden, in der die unziemlichen und amoralischen Ultrareichen die Museen dominieren. (4a) Auch wenn es sich technisch gesehen immer noch um gemeinnützige Bildungseinrichtungen handelt, werden sie nach unternehmerischen Werten geführt und arbeiten nach politischen Grundsätzen, die die Künstler, deren Werke in ihnen ausgestellt werden, in der Regel als abstoßend empfinden“.



Es sind inzwischen nicht nur Künstler, die protestieren, zunehmend wird das in den Museen selbst zum Problem, als Konflikt zwischen Kuratoren und Direktoren beziehungsweise Aufsichtsräten und das führt – in den USA – zu vermehrtem Interesse an gewerkschaftlicher Organisation. Mit entsprechender Gegenreaktion: „ Im New Museum of Contemporary Art verglich ein Arbeiter die Bedingungen dort sogar mit denen eines Ausbeuterbetriebs. Nach einem hart erkämpften Gewerkschaftsvertrag mussten die Beschäftigten feststellen, dass die Entlassungen und Freistellungen als Reaktion auf die Covid-19-Pandemie auf die Beschäftigten abzielten, die sich am aktivsten an der gewerkschaftlichen Organisierung beteiligt hatten. Die Rhetorik von oben blieb dieselbe: Das Neue Museum sei ‚ein vielfältiger, spannender und kreativer Raum für Experimente für Teammitglieder und Besucher‘. Doch das sorgfältig kultivierte fortschrittliche Image, das es und viele andere Museen zu vermitteln hoffen, wurde durch die erdrückende Hierarchie und Ungleichheit, die diese Organisationen prägen, Lügen gestraft“. 

Schwabsky sieht in den Museumsproblemen gesellschaftliche Entwicklungen gespiegelt, namentlich die Tendenz zu immer größerer Ungleichheit und Machtkonzentration in den Händen weniger. „Was diese Probleme in den Vordergrund gerückt hat, ist die immer größer werdende Ungleichheit, mit der wir leben, sowohl in Bezug auf die Rasse als auch auf die Klasse“. Deshalb könne die Lösung der Probleme auch nicht aus den Museen selbst kommen. Als ein Indiz dafür nennt er die zunehmende Schwierigkeit, Leitungspositionen von US-Museen zu besetzen. Der Job eines Museumsleiters sei derart schwierig geworden, daß immer mehr Institutionen Probleme bei der Besetzung hätten. (5)

 

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Mit der Erörterung des unrechtmäßigen Zustandekommens so vieler und bedeutender Museumssammlungen driftet Schwabsky unvermeidlich auf eine ethische Delegitimierung des Museums zu. Wie kann man einer scheinbar humanen Praxis festhalten, wenn eine ihrer wichtigsten Grundlagen in physischer und symbolischer Gewalt liegt? Die in Deutschland im Umfeld des Humboldt-Forums aufflammende Debatte um koloniale Sammlungen, die in Frankreich aufgegriffen wurde, stellt uns vor die Frage, ob man an den bisher geübten Museumspraktiken festhalten kann. Daß das keine abstrakte Überlegung ist, zeigen die  Völkerkundemuseen. Ihre Reform erweist sich als unausweichlich, aber bislang entweder als halbherzig oder als auf seine Auflösung zulaufend. Die gelegentliche Schärfe des Protests gegen diese Entwicklung ist ein Indiz dafür, wie tiefgreifend die Krise gerade dieses Museumstyps ist. (6)

Schwabskys Diagnosen zum Artwashing scheinen mir in dieselbe Richtung zu weisen. Die Instrumentalisierung von Museen in strikt privatem Interesse unterwandert die europäische Idee des der gesamten Gesellschaft verpflichteten Institution. Er wirft aber, sowohl mit seinem historischen Beispiel des florentinischen Mäzenatentums als auch den heutigen Praktiken ein weitere fundamentale Frage auf. Die nach der Sublimierungsleistung von Kunst, die er heute in Frage gestellt sieht und der er sich unter dem Stichwort Ästhetisierung am Ende seines Essays zuwendet. 

Dabei kommt er auf die Entstehungszeit des Museums der Moderne in der Französischen Revolution zu sprechen, im Rückgriff auf einen Text von Jacques Ranciere, der der Französischen Revolution die Ästhetisierung der Kunst zuschreibt. (7) Um die Kontamination mit dem Ancien Regime zu tilgen, sei die Auslöschung des Inhalts zugunsten der Form unumgänglich nötig gewesen.

„Der König war gestürzt worden, und seine Kunstwerke gehörten nun über den Staat dem Volk. Doch viele dieser Werke waren im Wesentlichen visuelle Lobgesänge auf das Königtum, und noch mehr waren es Devotionalien, Zeugnisse der Macht der Kirche, die die Revolutionäre unbedingt unterdrücken wollten. Wie konnten diese königlichen und klerikalen Bilder als Ruhm einer freien und säkularen Nation angesehen werden?

Die Lösung war radikal: Diese Objekte, die zu Ehren von König und Kirche hergestellt worden waren, wurden einfach als Beispiele erhabener Kunst, d. h. schöner Form und transzendenter Kunstfertigkeit, umgestaltet. Gerade aus politischen Gründen musste sich eine im Wesentlichen ästhetische Vision durchsetzen“.

Ich kann dieser Deutung nicht wirklich folgen, schließlich wird ja während der Revolution sowohl die historische, ab nun musealisierte und die damlige zeitgenössische Kunst in den Dienst der je aktuellen Politik gestellt, etwa in der Allegorisierung der revolutionären Tugenden, der Feier der neuen Ideale usw., aber folgen wir dennoch vorläufig der Argumentation Schwabskys. Er vermutet nämlich, daß das „ästhetische Regime“ langsam durch eine Rückkehr der ethischen Bewertung von Kunst abgelöst werde. Ob sich da aktuell ein Wandel wirklich anbahnt, läßt er offen. Aber wenn es so wäre, dann würde der „… eine große Herausforderung für die Museen“ darstellen, „die sich nicht mehr als neutrale Vermittler der weltweiten Vielfalt an visuellen Formen präsentieren können“. 

Wenn wir wieder an die Völkerkundemuseen denken (die diesen Namen selten noch beibehalten haben), dann können wir der Beobachtung zustimmen. Hier beginnt ein ethischer Diskurs zu dominieren, der auch einer der Schuld ist. Nämlich ihrer Anerkennung und der unterschiedlichen Versuche, wieder gut zu machen, was durch Raub, Erpressung, kriegerische Gewalt als Kulturgut nach Europa kam. Das Begangene wird als Unrecht anerkannt. Etwa indem man Kooperationen mit Herkunftsgesellschaften eingeht, Restitutionsforschung betreibt, Kulturgüter zurückerstattet u.a.m. Hier findet ganz ohne Zweifel ein Übergang von einer ästhetisierenden zu einer ethischen Museumspolitik statt. Erst jetzt beginnt man sich zu fragen, wie man etwa Artfekate afrikanischer Kulturen so lange Zeit als „Kunstwerke“ genießen und die Grundlagen dieses Genusses, die genannte Gewalt und Unrechtmäßigkeit der Aneignung, „vergessen“ und zu „übersehen“ konnte.

Gilt dieser Befund des Übergangs vom der ästhetischen zur ethischen Ausrichtung für alle Arten von Museen? Ich würde antworten, vereinzelt, aber eher doch noch kaum. Mir scheint die Tiefe und die Breite der Konsequenzen der Transformation noch nicht erkannt. Technische wie volkskundliche, Naturmuseen oder historische, werden noch vom Prinzip der Sublimation und Ästhetisierung getragen. Sie ersparen uns noch weithin, Walter Benjamins oft zitierten Satz zu folgen „Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich eines der Barbarei zu sein.“ Die Anerkennung dieses Satzes würde ungeahnte Konsequenzen für die Museen haben; es dürfte kein Stein mehr auf dem anderen bleiben. Es müßte zu Museen ein „end-of-everything“-Diskurs beginnen, ähnlich radikal, wie der den Krzsystof Pomian kürzlich angesichts des Klimawandels und der Coronakrise begonnen hat. (8) So sieht das offenbar auch Schwabsky, wenn er zum Schluß kommt, daß der derzeitige Wandel der Museen nicht weniger bedeuten könnte, als ihr Ende in der bisher bekannten Form.

Wenn es so ist, daß das "ästhetische Regime der Kunst" (…) und das Kunstmuseum“ sich „gegenseitig ermöglicht“ haben, und dann niemand „weiß, wie man das eine ohne das andere haben kann“, dann müsste die Durchsetzung einer ethischen Sichtweise das Ende des Museums in der bisher gekannten Form bedeuten: „Was wäre,“ schließt Schwabsky, „wenn wir heute Zeugen einer Rückkehr zu einer Zeit sind, in der Kunst mehr wegen ihres sozialen Nutzens, ihrer erbaulichen Wirkung auf den Betrachter, als wegen ihrer ästhetischen Wertigkeit geschätzt wird? Die Kunst könnte sich als etwas ganz anderes erweisen als das, was sie bisher war, und die Museen müssten nicht weniger anders werden - vielleicht ganz anders als die, die wir heute kennen. Die Malaise der Museen könnte erst der Anfang sein“.

 

 

 

1) In der Aussendung des Kulturstaatssekretariats heißt es: "Der Kulturpass (als Voraussetzung für den freien Eintritt G.F.) ermöglicht Kulturerfahrungen, die dazu beitragen können, dass die geflüchteten, oft erschöpften Menschen, besonders auch Kinder und Jugendliche, durch Kulturerlebnisse etwas an Kraft und Zuversicht zurückgewinnen". Museen seien nicht nur Orte der Kultur- und Wissensvermittlung, sondern auch sichere Rückzugsorte der Ablenkung, der Entschleunigung und der Reflexion.

2) Den Originaltext kann man hier nachlesen: https://www.thenation.com/article/culture/museum-crisis/

Die Zitate habe ich übersetzt.

3) Alexander Dorner (1893 - 1957) ist als Museumsreformer praktisch und theoretisch bedeutsam. Als Leiter des Provinzialmuseums Hannover lädt er El Lissitzky zur Gestaltung eines Kabinett der Abstarkten ein, der zur Präsentation zeitgenössischer Kunst konzipiert wird. 1937 emigriert er in die USA und leitet dort das Museum der Rhode Island School of Design, wo er seine Museumsideen weiterentwickelt und lehrt als Professor für Kunstgeschichte.

Barry Schwabsky bezieht sich auf den zu Lebzeiten Dorners unveröffentlichten Text „Why Have Art Museums?“

4) Die gefährlichste Droge der USA, die dort die meisten Drogentoten fordert, ist das abhängig machende Schmerzmittel Oxycotin. Produziert und aggressiv vermarket wurde es von Purdue Pharma, das sich im Besitz der Familie Sackler befindet, mit dem sie ein Milliardengeschäft gemacht hat. Die Familie unterstützte und unterstützt im großen Umfang kulturelle Einrichtungen, namentlich Museen, in den USA, in Großbritannien oder in der Schweiz. Einige Museen haben ihre Kooperation mit den Sacklers inzwischen beendet.

4a) Man muß nicht nur an US-amerikanische „Fälle“ denken. Das fragwürdige Mäzenatentum erbert Batliners etwa bei der Wiener Albertina oder die Ende 2021 hitzig debattierte und sehr umstrittene Übernahme der Sammlung Bührle in das Kunsthaus in Zürich sind Beispiele für die analoge europäische Entwicklung.

5) Zachary Small: There Are Almost Two Dozen Director Roles Vacant in U.S. Museums Right Now. Why Does Nobody Want Them? "People really don’t want to be directors right now." In: Artnet, November 22, 2021

https://news.artnet.com/art-world/u-s-museums-director-vacancies-2038335

6) In der Transformation am weitesten zu gehen scheint derzeit das Grassi-Museum in Leipzig. In der Zeitschrift Monopol stellt Marlen Hobrack gleich eingangs ihres Textes „Das bessere Humboldt-Forum?“ die aktuell brennendsten Fragen: „Lässt sich das Konzept des Völkerkundemuseums ins 21. Jahrhundert überführen? Kann es Bestand haben angesichts von Dekolonialisierung und dem Anspruch auf Restitution geraubter Kunstobjekte? Das Grassi Museum für Völkerkunde zu Leipzig versucht sich mit seinem Zukunftsprogramm "Reinventing Grassi" an einer Antwort.“ In: Monopol, 7.3.2022 https://www.monopol-magazin.de/grassi-museum-leipzig-das-bessere-humboldt-forum?slide=4Massive Kritik zum “Reinventing” kommt von Anette Rein: Vom Gegenstand des Respekts zur Ruine. Die beauftragte Zerstörung eines museumshistorischen Erinnerungsmals, In: Museum aktuell, Heft 279/280, 2022; S.9-12

7) Jacques Rancière: Aisthesis. Vierzehn Szenen. Wien 2013. Französische Erstausgabe 2011

8) Sein Text zum „Ende des Museums“ findet sich hier: https://www.museumdenken.eu/post/ende-des-museums