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Dienstag, 9. Mai 2017

Ein Vorarlberger Industriemuseum

Seit den 1980er-Jahren gibt es Pläne für ein Vorarlberger Industriemuseum. Nun wird ein neuer Anlauf versucht, wobei die Stadt Dornbirn die treibende Kraft ist. Die Stadt verfügt über Areale, in denen das Museum realisiert werden könnte und sie hat - wie so gut wie das ganze Land - eine lange Industrialisierungs-Geschichte.
In kleineren Museen, wie dem Textildruck-Museum Hard, kann man sehen, welches Potential in einem solchen Museum steckt. Industriegeschichte erlaubt eine komplexe, kulturhistorische, sozialgeschichtliche, wirtschaftsgeschichtliche usw. Landesgeschichte zu schreiben.
Eine Vorstudie, von der Stadt initiiert und vom Land finanziert, vom Dornbirner Stadtarchivar Werner Matt betreut, liegt vor.
Am 5. Mai 2017 wurde nun in der I-Natura erstmals öffentlich über den Museumsplan diskutiert. Nicht überraschend für das frühe Stadium gab es viele, untereinander kaum verbundene Vorschläge, Ideen, Anregungen, Wünsche, aus denen sich noch kaum eine konsistente Idee für eine bestimmte Form eines Museums ableiten läßt.
Vorarlberg hat eine überdurchschnittlich qualitätvolle Museumsszene und reichlich einschlägige Expertise. Bei schrittweisem, planvollem Vorgehen könnte ein weiteres hochinteressantes Museum entstehen.
Mit meinem unten wiedergegebenen Diskussionsbeitrag vom 5.Mai wollte ich in erster Linie Mut machen, die konventionellen Grenzen der Institution Museum zu überschreiten.






Statement
Podiumsdiskussion Industriemuseum Vorarlberg
5. Mai 2017
Dornbirn, I-Natura

Als mich Werner Matt zur Diskussion eingeladen hat, habe ich gerne zugesagt. Ich kenne ihn seit langem und schätze seine Sorgfalt, seine Genauigkeit, sehr. Ich vertraue ihm.
Ich habe inzwischen viele Gesprächspartner aus Vorarlberger Museen, deren Arbeit und Ideen inspirierend sind. Seit 1991, dem Jahr der ersten Landesausstellung und der Eröffnung des Jüdischen Museum Hohenems bin ich regelmäßig im Land und habe hier mehr persönliche Lieblingsmuseen als in jedem anderen Bundesland. Sooft ich komme, überraschen mich immer wieder neue Ausstellungen und Projekte.

Warum also kein Industriemuseum? Vor dem Hintergrund der genannten Qualität vieler Museen und der Kompetenz von Kuratoren oder Historikern, sollte das keine Frage sein. Ich werde einige Überlegungen anstellen, die sie vielleicht wie skeptische Einwände verstehen werden, die ich aber als Anregungen, als Diskussionsbeiträge verstehen will.

Industrie, industrielle Produktion und Arbeit gehören nicht gerade zum Kanon des überlieferungswürdigen und repräsentativen kulturellen Erbes. Einschlägige Museen nicht gerade zu den prominentesten und populärsten. Hier liegt ein Problem: wie kann ein Industriemuseum interessant werden, ohne es bloß populistisch werden zu lassen. Eine Geschichte der Musealisierung würde zeigen, wie lange es gedauert hat, ehe erst einmal einzelne und singuläre Objekte, gewissermaßen Kronjuwelen des industriellen Fortschritts, erhalten wurden, ehe nach und nach Ausstellungen und Museen entstanden sind.

Einschneidend war der Paradigmenwechsel in den Geschichts- und Sozialwissenschaften der 70er-Jahre, mit Oral History, Arbeitergeschichtsschreibung und Wendung weg von der politischen zur Sozial- und Alltagsgeschichte. Jetzt erst wurde das weithin Verdrängte, Arbeitsleid, Ausbeutung, Arbeitskämpfe erinnerungs- und ausstellungswürdig. Wie in der Ausstellung Mit uns zieht die neue Zeit in Wien 1981, der oberösterreichischen Landesausstellung Arbeit Mensch Maschine in Steyr von 1987 aus der das Museum industrielle Arbeitswelt entstand oder, als Niederösterreichische Landesausstellung, Magie der Industrie 1989 in Pottenstein.

So verdienstvoll all dies war, dem lag eine Philosophie der überfälligen Vervollständigung der Geschichtserzählung um Arbeitswelt und industrielle Produktion zugrunde, die Anerkennung der Leistung der Arbeiterschaft, v.a. der organisierten, und ihrer demokratischen Bestrebungen, aber auch die Würdigung von Arbeitsleid, Unterdrückung und elender und massenhafter Lebensbedingungen.

Über weite Strecken war der wissenschaftlich-museale Zugriff der von kleinen akademischen Eliten auf ein anderes Leben, aus dem sie weder herkamen noch an dem sie je beteiligt sein konnten. Es war ein unausweichlich hegemonialer Blick, der, in guter Absicht, die Geschichte der Industrialisierung und des Arbeitslebens didaktisch-politisch instrumentalisierte. Und das für ein letztlich fortschrittsoptimistischen Entwurf, in dem die Widersprüche von Kapital und Arbeit wenn schon nicht gänzlich lösbar aber doch zähmbar schienen. Die Kongruenz mit dem Aufstieg der österreichischen Sozialdemokratie ist unübersehbar. Zwei der drei genannten Schlüsselausstellungen entstanden im sozialdemokratischen Milieu.

Das Hegemoniale an der Musealisierung zeigte sich auch im Publikum. Bürgerlich-kleinbürgerliches bildungsaffine Besucher betrachteten etwa im frühen Ruhrlandmuseum in Essen kärgliche Arbeiterwohnungen, in den Puppen die Arbeiterschaft vertraten. Die aber selbst war abwesend und auch unbeteiligt. Ins Arbeitsweltmuseum in Steyr wird sich auch kaum ein Fabriksarbeiter verirrt haben. Und wird beim Vorarlberger Projekt jene Arbeiterschaft, die noch dazu, wie man sagt, unterm Druck der Digitalisierung der Produktion im Verschwinden ist, eine nennenswerte Rolle spielen. Und welche? Als Träger, Initiator, Besucher?

Etwa die Hälfte der Bevölkerung ist vom Museum, einem Ort der sozialen Distinktion, ohnehin ausgeschlossen und zwar unter anderem deswegen, weil Museen ihnen keinerlei Versprechen auf Veränderung ihrer Lebensweisen geben können und auch das Medium Museum ihnen zutiefst fremd ist.

Ich glaube aus vielen Gründen nicht an die Wiederbelebbarkeit dieses Konzepts der sozialdidaktischen Läuterung. Aber ich habe mich bei der Lektüre des Orientierungskonzepts gefragt, welche Alternative mir dort angeboten wird. Dort scheint das Vorhandensein von Objekten, Archivalien und einschlägigem Wissen auszureichen, um ein Museum zu fordern. Warum aber gerade ein Museum und nicht etwas anderes, bleibt unbeantwortet. Insoweit schmeckt Vieles an den Texten nach kompensativer Musealisierung. Da darf vieles nicht untergehen, nicht verschwinden, nicht vergessen werden, nicht Gebäude und Anlagen, Maschinen und Archivalien, archäologische Relikte oder industriell geprägte Landschaften. Das Museum wäre dann eine Art Arche Noah, in der etwas über die Zeit gerettet würde, was andernfalls ganz verschwindet. 

Einen ideologischen Überbau bildet in größeren Teilen der Texte im Orientierungskonzept eine sich immer wieder einpendelnde wie naturgesetzlich wie von selbst herstellende Balance zwischen Erfolg und Scheitern, Krise und Boom, Dynamik und Stillstand, also kurz gesagt zwischen Kapital und Arbeit. Letztlich bildet sich immer etwas heraus, was das Land insgesamt lebbarer gemacht hat, wovon alle etwas hatten, was sich zu Fortschritt summiert hat. Der Fortschritt kann über alle Opfer hinweggehen, wenn nur das Land, die Heimat, wir alle davon profitiert haben. Auch wenn Opfer nie freiwillig erbracht wurden.

Mir scheint, daß auch an dieses Bild der letztlich immer vernünftig ausbalancierten ökonomisch-gesellschaftlichen Entwicklung genauso wenig mehr angeknüpft werden kann wie an, das sozio-didaktische Modell des Lernens aus der Geschichte. 

Und dann die Frage nach unserer Gegenwart und welche Rolle sie in einem Museum spielen sollte. Die massiven antidemokratischen Tendenzen, die nicht nur von außen aufgedrängt, sondern auch von innen heraus bedrohlich werden, die ökologischen Entgleisungen, bei denen es immer öfter fünf vor zwölf ist, die Übermacht des in so wenigen Händen konzentrierten Finanzkapitals und last but not least die neuen Nationalismen mit rechten und rechtsextremen Vorzeichen, bilden ein extrem vergiftetes Gebräu. Verlangt das nicht nach einer neuen Qualität öffentlicher und vor allem zivilgesellschaftlicher Debatten? Also verlangt das nicht nach neuen Konzepten vom Museum weit über dessen konventionelle Grenzen hinaus?

Gegen das Festhalten am konventionellen Schaumuseum und an einer heilen museal vorgeführten Welt, und sei es die industrielle mit ihrem Widersprüchen, Sperrigkeiten, spricht dennoch nichts. Dafür ist das Museum ja so gut geeignet. Katastrophisches Besichtigbar zu machen, gefahrlos dem im wirklichen Leben Verletzenden, Traumatisierenden gegenübertreten zu können. Der springende Tiger im Naturmuseum ist nur ausgestopft. Er wird uns nie anfallen.

Wenn ein solches Museum der abgeschlossenen, geordneten und besänftigten Geschichtserzählung gewünscht wird - warum nicht. Es kann erfolgreich sein, es kann wissenschaftlich seriös sein und es kann innovativ gestaltet sein. Genügt das?

Wem das nicht genügt, der wird sich fragen, ob ein Museum 2020 nicht ganz anders formiert werden muß und ob herkömmliche Vorstellungen vom Museum denn reichen. Er wird sich fragen ob nicht etwas ganz Anderes gedacht werden könnte, etwa - ich biete beliebig eine Idee an -, eine Infrastruktur mit Sammlung, Archiv, Werkstatt, Medien aus der heraus durch Ausschreibung, nicht nur in Vorarlberg sondern europaweit, Projekte entwickelt werden könnten? Etwas, was auf Grund der Verfahren, der Inszenierung, der Vermittlung und der Arbeitsweisen internationale Strahlkraft haben könnte. Und wenn schon am Museum festgehalten wird, dann müssten erst einmal alle Schlacken aus dem eingefrorenen Bild, das wir von der Institution haben, herausgesprengt werden, so wie das Nikolaus Harnoncourt mit den barocken Partituren gemacht hat, samt allen Schlampereien und Gedankenlosigkeiten, die in unserer Vorstellung vom Museum nisten. 

Man müsste sich vom Museum, wie es zu oft verstanden wird verabschieden. Vom Hochamt vor den Objekten in den Vitrinen, vom blinden Glauben an fertige Deutungen und Erzählungen, von der Operettenhaftigkeit des Entertainment-Museums, von der Genügsamkeit, es nur mit dem Abgeschlossenen zu tun haben zu wollen, das unsere Gegenwart nirgendwo erreicht und stört. 



Das Gegenbild des Museums als Ort der - noch dazu konflikt- und interessenhaltigen Debatten, der Auseinandersetzung, der Zukunftsentwürfe wird oft gefordert, kaum wo realisiert. Dabei steckt in der Tradition und Struktur des Museum genau das: Seine Funktion als zivilisierendem Ritual. Dort begegnen sich Menschen in wechselseitiger Achtung und Anerkennung, um sich mit ihren Angelegenheiten zu beschäftigen. Und diese sind die öffentlichen Angelegenheiten, res publica. Ein solches Museum ist ein Ort der Zivilgesellschaft, die Grundfragen nachspürt: ihrer Herkunft, Sinn und Form der Gemeinsamkeit, dem Umgang mit dem Anderen, der Deutung ihrer Geschichte und vielem anderen mehr. 

Dort findet sich der politische und demokratische Kern des Museums, dort bilden sich unterschiedliche Formen von Öffentlichkeiten, dort klärt sich Gesellschaft über sich selbst auf, dort wird Identitätswissen, Sachwissen und Orientierungswissen generiert. Dort wird über das Eigene und Fremde debattiert, über Herkunft und Zukunft, über Gemeinsamkeit und Ausschluß.

Die Rekonstruktion des Museums als gesellschaftspolitischem Ort kommt die Komplexität der Geschichte der Industrialisierung in Vorarlberg sehr entgegen. An einem so kleinen Ort wie dem Harder Textildruckmuseum, das ich vor wenigen Tagen wieder einmal besucht habe, werden wie von einem winzigen Punkt aus wirtschaftspolitische, mentalitätgeschichtliche, ökologische, sozialhistorische, geschlechterpolitische Fragen und viele andere mehr darstellbar und deutbar. Es ist erstaunlich, wie viele Geschichten sich unter der Überschrift Industrie erzählen lassen, wie Probleme der Gegenwart im Lichte dieser Geschichten durchsichtiger werden, was da an Verständnis von Land und Gesellschaft erzeugt erden kann. 

Das Material liegt bereit, jetzt kommt es darauf an, den besten Weg zu finden, es wirksam zu machen, aus ihm Funken zu schlagen. Also auch sich die Frage zu stellen, wie sich das Projekt zwischen bloßer Bewahrung und retrospektiver Beschäftigung einerseits und dem Anspruch auf folgenreiche und nachhaltige Veränderung andrerseits zu positionieren wünscht. Welcher Typ von Museum es denn werden soll - ein technisches, kulturgeschichtliches, sozialistorisches Museum oder noch etwas anderes? Ob es um die Bewahrung von Monumenten geht, um Deponierung von Vergangenheit oder um einen Ort, der gesellschaftliche Gruppen versammelt die den Anspruch erheben transformativ in gesellschaftliche Prozesse einzugreifen und das hieße dann auch in Zukunft. (Das Museum, das ich mir erträumte).

Vor dieser Frage kommt aber die, die selten gestellt wird, die nach dem gesellschaftlichen Ziel und Sinn des Ganzen. Etwa so formuliert: Wer braucht ein Industriemuseum und wozu? Also nicht wer will ein Museum, sondern wer braucht ein Museum?
Wenn diese Frage authentisch beantwortet werden kann, dann nur zu! Dann soll das Industriemuseum gegründet werden.



P.S: Der Text weicht von meinem vorgetragenen Statement geringfügig ab, weil ich Anregungen aus der Diskussion ausgenommen habe.