Mittwoch, 21. Oktober 2015

Die Mitte des Museums

Es gibt wenige Museumskomplexe mit einer derart auftrumpfenden Architektur wie die beiden ehemaligen Hofmuseen beiderseits des Maria-Theresien-Platzes in Wien. Und es gibt kaum wo nachdrücklicher inszenierte empfangende Bedeutungsräume, wie im Kunsthistorischen Museum und dem gegenüberliegenden Naturhistorischen.
Abgesehen von dem ungleich aufwändigeren Dekor des Kunstmuseums sind beide Empfangshallen symmetrisch gestaltet, als mehrfach überkuppelte, vertikal durch Öffnungen optisch verbundene Räume, die keinem Ausstellungszweck dienen, sondern allein dem Sich-Versammlen der Besucher.
Die Gestaltung des Bodens wiederholt die Kreisform und betont den Mittelpunkt.
Diese Mitte kann, schon aus ganz praktischen Gründen, leer bleiben, dann genügt der Raum und sein Dekor, um das Publikum so um eine symbolische Mitte zu zentrieren, wie (später, in den Sammlungsräumen, um die Dinge) oder die Mitte kann besetzt werden, um die Zentrierung, das Sich-Sammeln um "etwas" (eine gemeinsame "Sache", die Sammlung) nach- und eindrücklicher zu machen.
Interessanterweise ist das derzeit gleichzeitig bei beiden Museen der Fall. Am Boden des Kunsthistorischen Museums liegen große Linsenkörper, die die Architektur spiegeln und Besucher und Fotografen anziehen ("Perspectives" von John Pawson). Im Naturhistorischen gibt es aus Anlass der Neupräsentation der sogenannten Venus von Willendorf, eine Paraphrase auf diese weit über 20.000 Jahre alte Statuette, eine "Balloon Venus" von Jeff Koons, monumental, aus Stahl hergestellt, aber mit oranger spiegelnder Oberfläche versehen, in der sich vielfach gebrochen die der Zentralraum des Museums spiegelt wie in einem Kaleidoskop.

John Pawson, Perspectives (Foto GF, 2015)
 Die gewaltigen Hallen der beiden Museen sind Variationen jener Räume, auf die kaum ein Museum verzichtet und die über den praktischen Zweck hinaus dazu da sind, das Publikum zu formieren, zu verteilen und in die Sammlungsräume zu leiten. Es sind vor allem Räume der Vergesellschaftung, Räume des "zivilisierenden Rituals".
Im KHM zentrieren wir uns um einen (gespiegelten) Blick und um ein eifrig beworbenes Marketingtool der Firma Swarovski. Möglich, daß das Museum Geld dafür erhält, aber symptomtisch ist, daß das Publikum vom Museum eingeladen wird, sich um einen Marktfetisch zu sammeln.
Im NHM ist das nicht ganz so klar. Sicher ist Jeff Koons ein großartiger Selbstvermarkter, ob aber er oder das Museum die Initiative ergriffen hat, weiß ich nicht. Und seine Hochglanzkunst, die das Verdikt Kitsch zu sein und Konsumgut heftig an sich zieht, spielt ziemlich vertrackt, gerade durch die Überbietung und Übertreibung, die Betonung der Oberfläche uvam., mit dem Warencharakter der Kunst.
Da könnte sich das Naturmuseum als das gewitztere erwiesen haben...
Aber grübeln wir lieber über einige Sätze aus einem Interview, das Koons aus Anlaß der Aufstellung seiner "Ballon Venus" gegeben hat: "So versuche ich, auf die Leute zuzugehen. Ich möchte nicht, dass sie eingeschüchtert werden. Die Erfahrung der Transzendenz muss jedem offenstehen, da darf es keine Hürden geben, und das schaffe ich, indem ich Dinge aus dem Alltag verwende. Und ich muss die Menschen schnell packen. Laut einer Studie nehmen sich die Menschen nur durchschnittlich 2,7 Sekunden Zeit, um ein Kunstwerk zu betrachten. Ich habe also nicht mehr als 2,7 Sekunden, um sie zu entwaffnen, um mit ihnen in einen Dialog über Akzeptanz zu treten."

Jeff Koons: Balloon Venus (Foto GF, 2015)







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