Montag, 29. Dezember 2014

Propter Homines. Etwas zu Privatisierung.

Erschienen in: derdiedas bildende. Akademiezeitung No.2, 2014, S.8/9


Proper Homines bezeichnet - in Goldbuchstaben an eine Wand appliziert - einen Veranstaltungsraum in der Albertina in Wien. Übersetzt heißt das Der Menschen wegen, etwas freier Zum Wohl der Menschen. Die unübersehbare Inschrift hat eine doppelte Funktion. Sie würdigt die Stiftung, die die Errichtung dieses Raumes ermöglicht hat, eine Stiftung, die denselben Namen trägt: Proper Homines und damit die Person des Stifters und Vorsitzenden der Stiftung, Herbert Batliner. Das Motto würdigt Stiftung und Stifter gleichermaßen und weist dem Engagement, das bei der Alberten auch in der Leihgabe von Gemälden aus der Sammlung Batliner besteht, eine allgemeine Bedeutung zu: Zum Wohl der Menschen.
Herbert Batliner ist Rechtsanwalt in Lichtenstein. Er gilt als Erfinder von Stiftungskonstruktionen, die die Umgehung der Steuerpflicht zum Beispiel für deutsche Staatsbürger erlaubte. Im großen Maßstab, wie die Übermittlung von gut gehüteten Daten seiner Kunden an die deutschen Finanzbehörden zeigte. Batliner vermied eine drohende Verurteilung durch freiwillige Zahlungen. Proper Homines?  Ja. Wenngleich nur für wenige und sehr Begüterte.
Die Albertina ist eine weltberühmte grafische Sammlung und ein staatliches Museum. Batliner ist Privatmann. Ein staatliches Museum ist als öffentliche Einrichtung zwingend verpflichtet, sich an das Gesamt der Staatsbürger_innen zu adressieren. Propter homines ist keine Wahl dieser oder jener Museums-Konzeption oder eines Mission Statements, das auch anders lauten könnte. Es ist eine gesellschaftliche, von staatlicher Politik und Verwaltung treuhänderisch wahrgenommene Verpflichtung. Jeder hat das Recht die im Besitz des Staates befindliche Sammlung zu nutzen. Aber Öffentlichkeit erschöpft sich nicht darin, sie charakterisiert alle wohlfahrtsstaatlichen Einrichtungen, die zum Wohle – die frühesten republikanischen Verfassungen kennen hier an Stelle des Wortes „Wohl“ noch das des „Glücks“ -, der Gesellschaft installiert wurden.
Ein Stifter, ein Mäzen, ein Sammler, ein Förderer kann das Wohl aller im Blick haben, er muss aber nicht. Wie man es auch wendet und dreht, seine Interessen bleiben privat. Die staatlichen müssen öffentlich sein, also nicht (nur) im Sinne von öffentlich und allgemein zugänglich, sondern im Sinne von zum Nutzen aller.


Ein Blick auf die Etymologie des aus der römischen Rechtskodifizierung stammenden Wortes privat macht uns sensibel für die Schärfe des Gegensatzes zwischen den beiden Begriffen und Praktiken, die durch sie bezeichnet werden. Da geht es nicht nur um den Gegensatz zwischen der privaten häuslichen Sphäre und den öffentlichen, namentlich politischen Angelegenheiten. Da geht es auch um eine sprachlich vermittelte Wertung, die die res publica, die alle betreffenden Angelegenheiten (die so genannte gemeinsame Sache, also die, die alle angeht und durch deren Vermittlung und Beteiligung an ihrer Ausgestaltung sie von Bürger zu Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen warden. Synonym für Gemeinwesen bzw. Gemeinwohl und schließlich auch – als Republik – Staatsform, die vom Prinzip der Volkssouveränität getragen und legitimiert wird) offenbar im Vergleich zum Privaten über das – wörtlich – Geraubte (privare = rauben) setzt.

Etwa drei Jahrhunderte hindurch war Sammeln Privatsache und der Zugang zu Sammlungen und ihre Nutzung (durch Wissenschafter, Künstler, Kenner usw.) hing von der Gunst des Eigentümers ab. Sammlungen im Besitz einer Gemeinschaft, etwa einer Stadt wie Venedig (wo der Doge Domenico Grimani kurz vor seinem Tod 1523 seine Sammlung der Stadt vermacht), Basel (wo der städtische Erwerb der Sammlung des Humanisten Amerbach deren Weiterbestand sicherte) oder Zürich (wo in der sogenannten Wasserkirche 1634ff. eine Bibliothek und eine Sammlung eingerichtet wurden)  sind Ausnahmen. Die Vorstellung eines korporativen Besitzes und Nutzens entwickelte sich in der Aufklärung und voll ausgebildet wird die uns geläufige und im Kern noch gültige Idee des Museums erst in der Französischen Revolution. Bemerkenswert ist, daß es dort zu einer umfassenden (gewaltförmigen, rechtsbrüchigen) Umwandlung privaten Besitzes (Der Königsfamilie, des Adels, der Kirche, der Emigranten) in öffentliches Gut kommt, aus dem (unter anderem) die großen Pariser Museen einschließlich des Louvre gegründet warden können. Der Genuss (ein Wort der revolutionären Praxis) der kulturellen Güter und Werte ist nun nicht von Gunst abhängig, sondern verbrieftes Recht. In Verfassung und Gesetzen niedergelegt, ist dieses allgemeine Recht in seiner frühen Zeit explizit eines, das in seinem zivilisierenden Ritual (Carol Duncan; Sabine Offe) auf die Staatsbürgerlichkeit (im Paris der 1790er-Jahre) bzw. die Humanisierung der Nation (im Berlin der 1830er-Jahre) zielt.
Die allgemeine Zugänglichkeit zu den kulturellen Institutionen und der staatliche Besitz an Kulturgütern - in Italien I beni culturali, in England Heritage, in Frankreich Patrimoine und hierzulande kulturelles Erbe genannt, sind nicht Ziel des Museums, sondern Bedingungen seiner gesellschaftlichen Wirkmächtigkeit.


 In einem vor nicht allzu langer Zeit bei ARTE gezeigten Dokumentarfilm wurden zwei römische Passantinnen gefragt, wem denn das gerade mit Mitteln eines privaten Unternehmers sanierte Kolosseum gehöre. „Mir. Uns“ antworteten die beiden ohne eine Sekunde zu zögern und lachten. Daß ein solches Selbstbewußtsein nicht bloß anekdotisch ist, wird in der Doku im Gespräch mit irischen Bürgerrechtler_innen deutlich, die gegen den Verkauf der staatlichen Forste an private Unternehmen kämpfen und nun in der Verfassung die Umformulierung vom unveräußerlichen Staatsbesitz zum nicht veränderbaren Volksbesitz erzwingen wollen. Die Aktivisten haben ein tiefsitzendes Gefühl für den Wert gemeinschaftlichen Besitzes und für den Bruch, den es bedeuten würde, diesen aufzugeben. Sie wollen nicht, daß das, was ihnen gehört und was sie vielfach genießen und nutzen - was verlorenginge erzählen sie praktisch und anschaulich - enteignet wird, privatisiert, geraubt. Das propter homines muß also wieder in die Verfassung.
Solche Formen der Privatisierung gibt es heute viele und in vielen Formen. Privatisierung bedeutet immer Umwandlung von staatlichem in privaten Besitz. Und nicht überall ist der Bürgersinn so geschärft, für den essentiellen Verlust, für das Ausmaß und die Folgen der Enteignungen, die da im Großmaßstab vorgenommen werden.
In der Praxis ist die Unterscheidung von privat und öffentlich nicht immer einfach. Das Museum des Sammlerehepaares Karl Heinz und Agnes Essl, das diese auf der Basis einer mehrere tausend Kunstwerke umfassenden Sammlung, errichtet haben (in Klosterneuburg bei Wien), unterschied sich für einen Besucher nicht von einem staatlichen Museum. Privat an ihm waren die Auswahl der Sammlung, die Kriterien der Wahl, die Wahl von KuratorInnen usw. Es gibt andere Beispiele für mäzenatisches, also großzügiges Handeln, das sich bewußt und verantwortungsvoll auf das Gemeinwohl bezieht ohne eine Gegenleistung einzufordern oder zu erwarten. Umgekehrt gibt es paternalistisch geführte Museen, wo eine Leitung persönliche Vorlieben und Ideologien zum herrschenden Maßstab für die gesamte Institution macht, unter Umständen sogar bis zur Korruption. Und auch Politiker können sehr einsame Entscheidungen treffen, die man nicht anders als privat bezeichnen kann. Da ist ein Bundeskanzler der einen befreundeten Sänger zum Staatsoperndirektor ernennen will oder eine Stadträtin die eine Fernsehsprecherin zur Museumsdirektorin bestellt hat oder  der Landesrat, der sich be idem ihm unterstellten Museum eine zu seinem Hobby passende Ausstellung bestellt.. Letztlich sind das private Entscheidungen, die keinem gesellschaftlichen Auftrag mehr verpflichtet sind, und die nur durch mediale Thematisierung oder zivilen Einspruch zu verhindern sind. War der Ankauf der Sammlung Leopold, war die Errichtung eines Museums mit Steuergeld wirklich in öffentlichem Interesse? Und auch die Ausnahmekonstruktion eines Bundesmuseums als Privatstiftung? (sic!) es im öffentlichen Interesse, ein Landesmuseum, das Museum der Moderne in Salzburg, so mit einer Sammlung eines riesigen Versicherungskonzerns zum amalgamieren, dass  die meisten symbolischen und materiellen Vorteile auf Seiten des Konzerns und nicht bei der öffentlichen Hand liegen?

Der Gegensatz von öffentlich und privat hätte heute nicht eine solche Bedeutung und Dynamik, wenn nicht nahezu alle Sphären von ökonomischen Imperativen durchdrungen wären, die strukturell auf Privatisierung, auf Ballung riesiger Vermögen in wenigen Händen hinauslaufen und die Ziele und Werte des Wohlfahrtsstaates und demokratischer gesellschaftlicher Verfasstheit unterminieren. Im günstigeren Fall ist die Politik neutral, im schlechteren interessiert, die postdemokratische und kasinokapitalistische Dynamik als alternativlos (Angela Merkel) zu fördern. Und klassische diskursive und kritische Öffentlichkeit hat sich gerade im Feld des Ausstellens und der Museen kaum je entwickelt und existiert auch kaum. Es gibt daher kaum so etwas wie kulturelle Gegenöffentlichkeit und Innovation und Experiment findet man eher am Rand oder meist eher jenseits der Institutionen. Und die Museen und Ausstellungshäuser selbst? Sie bilden Kompromisse, um dem Druck der Verknappung der Mittel der sogenannten öffentlichen Hand standhalten zu können (beim Wiener Burgtheater hat sich zum ersten Mal gezeigt, dass das Grenzen hat) oder es werden auf Teufel komm raus Bündnisse geschlossen, die die Privatisierung von innen her vorantreiben und der Öffentlichkeit, etwa als Public Private Partnership, als Ausweg verkauft werden. Anders gesagt: die Museen betreiben eine Politik, die die ihre eigene Grundlage kontaminiert und beschädigt. So beklagen sie die Macht der veröffentlichten Besuchszahlen, rechnen sie selbst aber als Ausweis ihres Erfolges gegen staatliche Fördergelder.
Propter homines. Von einer Inschrift in er Albertina bin ich ausgegangen, um die sehr unterschiedlichen Instrumentalisierungen dieses Mottos zu thematisieren. Eine seiner Bedeutungsfacetten kann man im Shop der Albertina gewahr werden. Dort liegt das Kochbuch von Rita Batliner. Mit Liebe zur Koch-Kunst. 




1 Kommentar:

  1. "Ein Stifter, ein Mäzen, ein Sammler, ein Förderer kann das Wohl aller im Blick haben, er muss aber nicht. Wie man es auch wendet und dreht, seine Interessen bleiben privat. Die staatlichen müssen öffentlich sein, also nicht (nur) im Sinne von öffentlich und allgemein zugänglich, sondern im Sinne von zum Nutzen aller." Das ist richtig, doch historisch gesehen bis herauf zur Gegenwart, waren immer die im Auftrag des Staates handelnden Personen eben nicht darauf bedacht, zum Nutzen aller zu handeln - sondern haben regelmäßig ihre geliehene Macht zu persönlichen Zwecken mißbraucht, haben also noch viel vorwerfbarer gehandelt und auch viel mehr Schaden der res publica zugefügt!

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