Freitag, 21. Januar 2011

Das Ende der Kunst? Das Ende des Museums? (Was ist ein Museum 11)

Quatremere de Quincy
Die rasche - buchstäblich globale - Durchsetzung des zwischen etwa 1770 und 1810 entstandenen neuen - öffentlichen, wohlfahrtsstaatlichen, zivilisierenden - Modells des Museums als sowohl kollektiv wie individuell zivilisierender Praxis der Selbstvergewisserung und Selbstreflexion, läßt sich unschwer als Erfolgsgeschichte erzählen. Germain Bazin hat das in seiner Museumsgeschichte von 1967 auch so gemacht und vom 19. Jahrhundert als dem 'Goldenen Zeitalter' des Museums gesprochen.
Man übersieht dabei leicht, daß buchstäblich 'von Anfang an', und zwar mit großer Hellsichtigkeit und Schärfe, strukturelle Merkmale des Museums kritisiert wurden. Es gibt eine Kritik am Museum, die nicht mehr oder minder nebensächliche Aspekte betrifft, sonder die das Modell als solches analysiert.
Vordergründig nimmt das seinen Ausgangspunkt mit der Dialektik von Bildersturm, Kunstraub und Musealisierung im Frankreich der Revolution und dann Napoleons. Die Kritik wendet sich gegen die Plünderung europäischer Galerien und gegen die Zentralisierung von Kulturgütern an einem einzigen Ort, nämlich Paris.
Die bemerkenswerteste Kritik kam von einem Archäologen, Architekturtheoretiker und Kunstschriftsteller, der sich beim Aufbau des Louvre-Museums beteiligt hatte, und der aktiv in den ersten Jahren der Revolution an der Kultur- und Museumspolitik beteiligt war, der sich aber dann so weit von ihr entfernte, daß er schließlich als ein Feind des Staates und der Revolution 1796 in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurde.
Antoine-Chrysostome Quatremère de Quincy veröffentlichte genau in diesem Jahr, sozusagen aus dem Untergrund heraus, also mit großem persönlichen Risiko, eine Schrift gegen den Kunstraub in Italien. Sein zentrales Argument war die Herauslösung der Kunstwerke aus ihrem Umfeld, die einer Zerstörung gleichkäme. De Quincy hatte nicht nur das architektonische Ambiente im Auge, sondern sondern alle, auch lebensweltliche Bedingungen der Geltung eines Kunstwerkes, einschließlich des Gebrauchs, der Wahrnehmung, der Einbettung in Rituale usw.
Er spielte Rom (als Ort der Beraubung) gegen Paris (den Ort der musealen Akkumulation und Zentralisierung) aus. Rom verkörperte ihm das 'ideale' Museum, wo die Kunst noch ihren angestammten Platz einnahm, während die Museumsgründungen in Paris, namentlich die im Louvre, zu einer umfassenden Entfremdung der Kunst führen müssten. Und zwar auf doppelte Weise. Einmal wegen der Entkontextualisierung der Werke und ihrer Transformation zu Exponaten, dann aber auch wegen der Veränderung der Gebrauchsweisen von Kunst.
Das 'totale Museum', wie man es in Paris grade verwirklichte, so ahnte er, würde die Wahrnehmung der Kunst vollkommen verändern, es werde bloß ein „Magazin mit allen Schulen der Malerei“ werden, das mit seinem Nebeneinander zu einer Relativierung der Kunstwerke führen würde. Dagegen Rom: „Das wirkliche Museum von Rom, von dem ich hier spreche, besteht zwar aus Statuen, Colossen, Tempeln, Obelisken, Triumph-Säulen, Bädern, Circi, Amphitheatern, Gräbern, Stuccaturarbeiten, Fresco-Mahlereyen, Basreliefs, Inschriften, Fragmenten von Zierrathen, Baumaterialien, Meublen, Hausgeräthen u.s.w. Aber es gehören dazu auch die Orte, Gegenden, Berge, Steinbrüche, alte Wege, die Lagen der verschiedenen zerstörten Städte, die geographischen Vergleichungen, die nur im Lande selbstgemacht werden können.“
Quincy verschließt allerdings seine Augen vor jener Musealisierung der Kunst, die auch in Rom längst eingesetzt hat, mit den päpstlichen Regelungen zum Schutz und dem Ausfuhrverbot von Kunstwerken und der Schaffung des riesigen Museumskomplexes im Vatikan, dem Museo Pio Clementino. Noch zu seinen Lebzeiten wird im Vatikan die Pinakothek geschaffen und die Kapitolinischen Sammlungen in ein Museum verwandelt.
Das nimmt der Kritik am Museum aber nicht seine Brisanz: An dem, was im Louvre entsteht, kritisiert er den umfassenden Funktionswandel, die Verzeitlichung (in den Chronologien der Hängung), die einen „abergläubischen Respekt für das Alte“ fördere, aber auch die (Kunst)Kritik, die das 'Sentiment' ersetze, und schließlich das Entstehen eines neuen Publikums aus Künstlern, Amateuren und Laien. Diesen drei Publikumsgruppen mit ihren höchst unterschiedlichen Ansprüchen gefallen zu müssen, führe dazu, daß die ‚arts du génie’  aufhörten gesellschaftliche Leitbilder zu sein und stattdessen zu ‚arts de luxe’ würden, die der Unterhaltung des Publikums dienten.
Der „Missbrauch des Museums“ und der „Missbrauch der Kritik“ begünstige die Bewunderung von Eigenschaften, die der Kunst äußerlich seien. Die radikalste Schlussfolgerung betrifft aber die Konsequenzen der Musealisierung der Kunst für deren Produktionsbedingungen. Wenn Quincy argumentiert, daß das Museum der Kunst ihren 'Ort im Leben' nimmt, dann heißt das auch, daß das für die Herstellung von Kunst Konsequenzen hat. "Seit man Museen gegründet hat, um Meisterwerke zu schaffen (sic!), entstehen keine Meisterwerke mehr, um die Museen zu füllen.“
Wovon de Quincy spricht ist das Ende der Kunst - herbeigeführt von einer Institution, die doch gerade deren Geltung neu begründen soll. Wenn die alten Rahmenbedingungen sowohl für die Rezeption als auch für deren Produktion verschwinden, dann kann offenbar das Museum das nicht kompensieren. Es wird zum Ort der Kunst der Vergangenheit, ein "Ruheort der Kunst", wie man das anläßlich der Errichtung des Neuen Museums Berlin (1830 eröffnet) formulierte.
De Quincy deckt einen Grundwiderspruch des Museums auf, die Dialektik einer Transformation, die alles, keineswegs nur die Kunst, in etwas so radikal anderes verwandelt, daß das, was es vorher, vor dem Prozess der Musealisierung einmal war, vernichtet, zerstört.
Niemand hat das so präzise beschrieben und analysiert wie der Philosoph Joachim Ritter, der Musealisierung soziologisch als Reaktion auf umwälzende Prozesse der Moderne zurückführt: "Wo er (der Prozess der Modernisierung GF) einsetzt, ist immer die reale  Bewegung das Erste, in der das alte geschichtliche Gut: Trachten, Einrichtungen, Gerät aus den Häusern und Orten des Wohnens und Lebens, verdrängt wird. Aber dazu gehört, daß das so aus der gegenwärtigen Wirklichkeit Entfernte gleichsam sein Sein verändert; es wird ‚das Historische’ und zieht – als dieses sein reales Nichtsein hinter sich lassend – nunmehr der Bewahrung würdig in die Museen ein, die für es geschaffen werden."
Das liest sich wie ein spätes Echo auf de Quincys lakonischen Satz „Wenn man aus einer solchen Ansammlung (von Kunst im Museum GF
De Quincy ist der erste, der den immanenten Widerspruch des Museums benennt, der die europäischen Avantgarden immer wieder gegen das Museum aufbringen und mobilisieren wird. Ausgerechnet die Institution, die der Erhaltung und Pflege der Kunst dient, arbeitet an ihrer Abschaffung.
Alfred Barr: entwicklung der abstrakten Kunst
De Quincys Texte sind zwar ediert und zugänglich, aber abgesehen von spezialisierter Forschung spielen sie kaum noch eine Rolle - wiewohl sie so etwas wie die Gründungstexte einer analytischen und kritischen Museologie sind. Quincy ist, außer bei Architekturtheoretikern, fast in Vergessenheit geraten, aber die Symptomatik des Museums, die er als erster analysierte, begann in der Kunstpraxis und - theorie zu spuken: noch im 19. Jahrhundert beginnt jene Kritik des oder auch Abwendung vom Museum durch die Künstler selber, die sich in museumsstürmerischer Rhetorik ihre Abfuhr verschafft - man denke an das meist zitierte Beispiel des Futuristischen Manifests. Jemand wie Douglas Crimp hat die prekäre Dialektik des Museums auf seine modernsten Formen angewendet. In On the Museums Ruins zeigt er, wie das wegen seiner Ausweitung des Kunstbegriffs und der Schaffung völliger neuartiger Museumsdepartments berühmte Museum of Modern Art in New York gerade dadurch die Idee jener Avantgarde zerstörte, die die Sammlungen so besonders machten. Was man (unter Ausnutzung der krisenhaften ökonomischen und politischen Verhältnissen, aus dem Deutschland der Weimarer Republik und der revolutionären Sowjetunion nach New York brachte, wurde dort genau um das gebracht, was sie als Avantgarde ausmachte: lebenspraktisch alle künstlerischen Gattungsgrenzen und schließlich auch die Grenze von Kunst und Leben sprengend, wurde sie im Museum of Modern Art zur Versammlung der Meisterwerke.

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