Sonntag, 3. Januar 2010

Sitting Bull und die westliche Anschauung

Sitting Bull (1831-1890) ist einer der Häuptlinge eines Indianerstammes, die im kollektiven Gedächtnis bis heute lebendig geblieben sind. Dieses ‚Überleben’ verdankt er nicht nur der vielfältigen Mythologisierung der nordamerikanischen Indianer generell und auch nicht in erster Linie der modernen Politik, die den Indianern wieder mehr Rechte und Selbstbestimmung zurückgibt und insofern die Geschichte ihrer Ausgrenzung, Vertreibung und partielle Vernichtung wieder und unter neuen Gesichtspunkten aktualisiert.

Sitting Bull war bereits zu Lebzeiten ein Mythos, der durch Selbstdarstellung und Fremdzuschreibungen entstand. Seine Lebensgeschichte spiegelt in allen Facetten die Phase der definitiven Unterwerfung der Indianer unter die Interessen der Weissen: Den heroisierten Widerstand, die verweigerte Assimiliation, die zähen Verhandlungen, die Vergeblichkeit aller Anstrengungen der Selbstbehauptung, die späten militärischen Revolten in der letzten großen ‚Freiheitsbewegung’ und die definitive Unterwerfung in der stufenweise sich verschärfenden Reservats- und Siedlungs-Politik.
Eine Serie von Porträtfotografien macht sofort zum Auftakt der Ausstellung (Sitting Bull und seine Welt. Museum für Völkerkunde Wien. Noch bis 15. März 2010) die Rollen, die Sitting Bull zugeschrieben wurden und die er selbst annahm, anschaulich, zeigt aber auch die Verweigerung, wie im letzten Foto, das ihn bis zur Unkenntlichkeit verhüllt zeigt, das Fotografiertwerden verweigernd.
Das ist ein starker Auftakt einer Ausstellung, die dem meistfotografierten Indianer gewidmet ist, und damit der Frage nach der Erzeugung von und der Verfügung über Bilder im allgemeinen.
Von diesem analytischen Environment einer Serie von Porträts aus entwickelt die Ausstellung chronologisch die Biografie Sitting Bulls im Kontext der Geschichte der von ihm geführten und inspirierten Stämme und im Zusammenhang der amerikanischen Indianerpolitik.
Zweierlei Gruppen von Medien tragen die Ausstellung: originale Objekte und – wie mir schien ausnahmslos reproduzierte – Fotografien, die, mit Stichen, Zeichnungen und Zeitungsillustration gemischt und alle auf gleiches Format gebracht und immer auf derselben Augenhöhe an den Wänden wie eine Bildleiste montiert, so etwas wie das Rückrat der Erzählung bilden.
So eindrucksvoll manche der Objekte waren, wie etwa realistische, detailreiche und großformatige von Indianern angefertigte Zeichnungen ganzer Jahreszyklen oder großer Schlachten, noch tiefer beeindruckten mich die Fotografien. Was ich zum Beispiel – vage – unter dem Wort ‚Reservat’ im Kopf hatte, wurde rasch durch Bilder aufgefüllt, die etwa die Verelendung dokumentieren, die die Politik der Isolierung nach sich zog. Besonders bizarr and an Vergleichbares in der jüngsten Geschichte und Gegenwart erinnernd war die Fotografie einer umzäunten Siedlung dichtgedrängter Zelte – ein Internierungslager, das für eben militärisch besiegte Indianer angelegt wurde.
Die Fotos dokumentieren aber nicht ausschließlich die politisch-militärische ‚Lösung’ der ‚Indianerfrage’, sondern auch – wofür gerade die Lebensgeschichte Sitting Bulls beispielhaft ist -, die Idealisierung und Heroisierung der Indianer durch Weiße und die selbstbewußte Repräsentation der Indianer selbst. Sitting Bull wußte seinen Ruhm zu nutzen und das Interesse an seinen Geschichten und – an seinem Bild.
Der Widerspruch zwischen der Vernichtung der indianischen Kultur einerseits und ihrer gleichzeitigen Bewahrung, Erforschung und Idealisierung andrerseits wird im Auftreten Sitting Bulls in „Buffalo Bill’s Wild West Show“ erfahrbar. Während er nach dem vergeblichem Versuch nach Kanada ins Exil zu gehen, zurückkehrte und sofort als Kriegsgefangener interniert wurde, bediente er als Darsteller seiner selbst die eben im Entstehen begriffenen Klischees.
Genau dies, Sitting Bull als ‚Kippfigur’ zwischen Abwehr und Abspaltung des ‚Anderen’ und der Integration des ‚Fremden’ in Form von Exotisierung, Klischeebildung oder Idealisierung war wohl das zentrale Motiv für den Kurator (und Direktor des Völkerkundemuseums) Christian Feest, die Ausstellung zu machen.
Sitting Bull ist sowohl als historische Figur als auch Projektion vielfältiger Zuschreibungen (und das eine läßt sich wohl vom anderen nie sauber trennen) ein bemerkenswertes Studienobjekt für den Grenzverkehr zwischen Eigenem und Fremden. Wie kaum ein anderer verkörpert Sitting Bull bis heute die in sich widersprüchlichen westlichen Anschauungen vom „Indianer“ heißt es dazu auf der Museumswebseite. Und die Ausstellung bietet reichlich Anschauungsmaterial zur ‚westlichen Anschauung’.

Ein Beispiel: Nicht weit entfernt vom Familienfoto Sitting Bulls findet sich ein Foto seiner Frau und seiner Töchter, das nach seinem gewaltsamen Tod – wohl von Militärs? aufgenommen worden war. Vor einem Zelt aufgereiht, auf dem jemand ein Schild mit dem Schriftzug Sitting Bull befestigt hat, stehen die Frauen. Zur Schau gestellt, ‚ausgestellt’, in einem Zwangsarragement, das genausogut polizeiliches Verbrechensfoto oder fotografische Dokumentation einer zeitgenössischen ‚Völkerschau’ sein könnte.
Die Fotografien dokumentieren nicht nur Gewalt, sie sind selbst ein gewaltförmiges Medium. Deutlich wird dies zum Beispiel an an einer anderen Fotografie, die in der Ausstellung zu sehen war. Eine des im Massaker von Wounded Knee getöteten Indianerhäuptlings Big Foot, der wie in einer Geste der Erschöpfung oder des Zusammenbruchs am Boden liegend fotografiert wurde und wo ein kurzer, triumphalistischer Text den Mann zum Ding und zur Trophäe macht – nämlich durch das Copyright der NorthWestern Foto Co(mpany), das direkt auf den Körper des Fotografierten geschrieben wurde.
Hier hat dann die Ausstellung eine spürbare Grenze.
Die verdienstvolle und aspektereiche Thematisierung des Problems der Sicht auf den ‚Anderen’ - am Beispiel einer einzigen, berühmten Person – macht den konsequenten Schritt nicht, die Gewaltförmigkeit der Beziehung von Subjekt und Objekt nicht nur in der Ereignisgeschichte aufzusuchen, sondern auch in den Medien selbst und sie als Werkzeuge eines hegemonialen Blickregimes zu analysieren. Zwar gibt es bei einzelnen Objekten und manchen Fotografien das Medium und seine manifeste Botschaft relativierende Kommentare. Aber Herkunft der Fotos, Zweck und Verwendung, Interesse dessen oder derer, die fotografierten, bleiben ausgeklammert.
Die ökonomischen Interessen an der Verwertung der Bilder, auf die etwa das Copyright hindeutet, wer konnte sie durchsetzen und wozu? So bleibt unthematisiert, daß die Fotografie (wie auch die populären Shows, die Zeitungsberichte und –illustrationen, die diversen anderen Bilddokumente, die wissenschaftliche und populäre Literatur) per se Medien ‚der Weissen waren’, also nahezu ausnahmslos deren Blick auf den Anderen spiegeln, somit Gewalt hier strukturell im Medium selbst angesiedelt ist. Das gilt auch für das Sammeln und die Musealisierung all dessen, was in einschlägigen Ausstellungen zu sehen ist. Deren gewaltförmige Grundlagen werden, soll man sagen: selbstverständlich? (weil das praktisch nie in Museen und Ausstellungen geschieht) nicht thematisiert.

Der Zusammenhang von militärischer Vertreibung und Vernichtung, Sammeln von ‚Survivals’ (so ein Schlüsselbegriff der jungen nordamerikanischen Ethnologie) und wissenschaftlicher Forschung ist gerade für diesen Zeitraum gut erforscht. Den Truppen folgten ebenfalls zu den militärischen Einheiten gehörige Gruppen von Spezialisten, die auf den Schlachtfeldern nach ‚Überresten’ (auch menschlichen) suchten, um sie in Forschungseinrichtungen oder Museen (wie dem Smithsonian Institute) zu bringen.
Die weitere Konsequenz aus all dem wäre dann freilich, nicht nur die Medialität der Objekte anzuerkennen, also der sogenannten authentischen Exponate, der Fotos, der Grafiken oder Plakate, sondern die der Ausstellung selbst. Sie kann kein neutrales, gleichsam liberal die diversen Facetten der Geschichte Sittung Bulls referierende, bloß berichtende Instanz sein. Sie selbst eine neuer, weiterer Versuch, sich dem ‚Anderen’ zu nähern, ein Versuch, in der es keinen Standpunkt 'außerhalb' geben kann und der unausweichlich in die Dialektik und Asymetrie einer solchen Beziehung selbst tief verstrickt ist.

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