Donnerstag, 10. Dezember 2009

Die Eingeborenen der Bildungselite werden immer weniger

In den Museumsdiskussionen der deutschsprachigen Länder ist ein Thema nahezu verschwunden, das in den 70er-Jahren – recht kurz – theoretisch wie praktisch präsent war: Die sozialen Barrieren des Museums und damit die Frage nach der Hegemonie einer Elitenkultur. Eine französische Untersuchung bringt dazu einige interessante Einsichten, auch für das Museum. Der Soziologe Olivier Donnat hat im Auftrag des französischen Kulturministeriums eine Studie erstellt, die in einem Satz zusammengefasst ergeben hat: Die Bürger interessieren sich immer weniger für Kultur. Daß bildungsbürgerliche Aktivitäten langsam im Schwinden begriffen sind, ist nicht neu, und auch nicht, wenn ich an in Österreich oder Deutschland schon vor Jahrzehnten gemachte Studien denke, daß große Teile der Bevölkerung vom kulturellen Leben und daher auch von der Arbeit der Museen abgeschnitten sind.
Neu in der französischen Studie ist, daß an Kultur Interessierte immer stärker aus einer einzigen und relativ homogenen Gruppe kommen, den gebildeten, gut verdienenden Großstädtern. Auch das scheint nicht ganz so neu, wenn man sich an Pierre Bourdieus Analyse der Rekrutierungsmechanismen der Eingeborenen der Bildungselite erinnert. Neu dagegen ist, daß sich abzeichnet, wie die sozialen Auseinandersetzungen unter diesen Voraussetzungen auch zu einem Kulturkampf werden könnte.
Sascha Lehnartz, der in DIE WELT über die Studie berichtet, nennt Le Pen, die Affäre um die Verhaftung Roman Polanskis und Sarah Palins Wahlkampf als Beispiele der Mobilisierung kultureller Ressentiments. Neu ist auch der klare Befund, daß die Kluft zwischen den sozialen Gruppen immer größer wird. Die Bildungsferne großer Schichten wird immer größer.
Das gilt auch für Museen, die – so die Studie – in Frankreich nahezu zum Monopol der Wohlhabenden geworden sind. Die Besucherzahl großer Kunstmuseen wächst zwar, aber zuungunsten kleinerer Museen und Museen außerhalb von Paris.
Die grundlegendste Schlussfolgerung, Lehnartz zieht ist: Kultur als Medium zur demokratischen Teilhabe für alle (scheint) immer weniger zu funktionieren.

Sascha Lehnartz: Niedergang einer Kulturnation, in: DIE WELT ONLINE, 20. Oktober 2009
Olivier Donnat, Les Pratiques culturelles des Français à l'ère numérique, ed. La Découverte, 284p, 20 Euro
Pierre Bourdieu: Zur Soziologie der symbolischen Formen. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1974 (franz. 1970)

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